Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
fühlte. Seit jenem Tag, an dem der Teufel an die Klosterpforte geklopft hatte, stürmte es, und es war nicht der gute, sanfte Wind. Nein, es war der schlechte, der gepaart mit Rauch, Feuer, Finsternis und Wasser der Seite der unheilbringenden Elemente angehörte, die den Kosmos durchdrangen und mehr und mehr beherrschten.
An manchen Tagen glaubte Ida sogar innerhalb der Gemäuer einen Luftzug zu spüren, der ihr den Atem nahm, dann und wann vermischt mit dem Gestank von Schwefel oder dem beißenden Geruch von Feuer, obwohl ihr die anderen Nonnen immer wieder versicherten, dass es nicht brannte. Bis auf die eine Nacht, als sie hinausgelaufen war und die Hitze der Glut hell und rot in ihrem Gesicht gespürt hatte.
Es war, als begegneten ihr die anderen nun mit Vorsicht. Ja, mit Vorsicht, nicht mit Respekt, wie sie es sonst taten, wenn sich ihre Vorahnungen bewahrheiteten. Doch seit jenem unglücklichen Tag waren die Stimmen gedämpfter, und die fröhliche Schwatzhaftigkeit, die Ida sonst so ärgerte, war seltener geworden.
Ida bewegte ihren Stab entlang der Mauern und schritt sicher voran. Und nun waren wieder Menschen gekommen, kaum dass die Brüder aus Zwiefalten abgereist waren. Menschen, die die heilige Ruhe des Klosters störten. Es war weit nach der Komplet, als Priorin Agnes sie rufen ließ, trotz der Schweigepflicht, die nun herrschte. Die anderen lagen längst auf ihren Matten im Dormitorium, aber sie selbst brauchte nur wenig Schlaf. Es war ihre Zeit. Die Zeit, in der sie ungestört durch die Gänge gehen konnte, ins Gebet versunken. Aber nicht heute.
Das leise Klopfen des Stabes veränderte seinen Klang. Ida hielt inne und tastete nach dem Knauf, der die Tür öffnete.
»Tritt ein, Schwester Ida«, hörte sie Priorin Agnes sagen.
»Ihr habt mich rufen lassen?« Ida erhob die Nase, aber der zarte Duft, den sie vernahm, war süß und rein und machte den ranzigen Geruch der Kerzen aus Schafsfett erträglich, die trieften und stanken.
»Komm näher.«
Ida trat ein paar Schritte vor, bis der Atem der Anwesenden lauter wurde. Es waren ein Mann und eine Frau, der Duft kam von der Frau. Aber der Mann verriet sich durch sein Atmen. Es war schwerer und tiefer. Der Mann musste groß sein und stattlich, ja, so atmeten nur große Menschen.
»Wir haben Gäste?«
»Clemens von Hagen, Kanonikus von St. Stephan in Mainz, und eine junge Frau, die um susceptio , um Aufnahme bittet.«
Ida trat einen Schritt in die Richtung, in der sie die Frau vermutete, und hob suchend die Hand. Die Frau war nicht sehr groß.Flüchtig strich sie über lange Haare, die in sanften Wellen herabfielen.
»Ich bin Elysa.« Die Stimme klang schön und warm, doch nicht so jung, wie man es von einer Anwärterin erwartete. Der Klang verriet die Tonalität der gehobeneren Schichten, die Aussprache war deutlich. Der feste Ausdruck ließ Ida zweifeln, ob Elysa die gebotene Schamhaftigkeit in der Rede würde lernen können, aber es stand ihr nicht zu, bereits in diesem Moment ein Urteil zu fällen.
»Du wirst die Anwärterin zunächst in ihre Zelle im Gästehaus führen«, fuhr die Priorin fort. »Nach vier Tagen, wenn sie sich im Kapitelsaal niedergeworfen und ihre Bereitschaft zur Einhaltung der benediktinischen Regel erklärt hat, teilst du der Handwerkstochter eine Novizinnenzelle zu. Und nun fort – ich habe mit dem Kanonikus zu sprechen.«
Ida eilte voran, den Stab in ständiger Bewegung. Hatte die Priorin tatsächlich Handwerkstochter gesagt? Eine Handwerkstochter klang anders, selbst wenn sie im Dienste des Adels stand. Sie wird sich den Ausdruck der höheren Töchter angeeignet haben. Eitel war die junge Frau, das hatte Ida sogleich am feinen Duft erkannt. Eitel und unfähig, sich ihrem Stand gemäß zu verhalten.
Verärgert schüttelte sie den Kopf. Nichts war mehr, wie es einmal war. Früher konnte man bereits am Geruch erkennen, wer wohin gehörte. Heute hingegen gab es auf den Märkten in den Städten allerlei Dinge zu kaufen, die die natürlichen Grenzen verschwimmen ließen. Ja, es konnten sogar einfache Menschen durch Fleiß zum Adel aufsteigen, sie nannten sich hochmütig Ministerialen, aber für Ida war es einfach nur der Dienstadel.
Die Zeiten hatten sich geändert. Früher, als Hildegard das zerstörte Augustinerkloster für dreißig Benediktinerinnen hatte herrichten lassen, waren Ministerialen und niedere Stände die Ausnahme, heute hingegen die Regel. Und das war nicht gut, dennwo Zucht und Ordnung fehlten und die
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