Perry Rhodan Neo 030 - Hort der Weisen
Er kaute die Schale; sie schmeckte frisch und bitter, mit seinem eigenen Blut vermischt.
Megh-Takarr wusste, er hatte den ersten entscheidenden Schritt getan, der in eine neue Welt führte.
Megh-Takarrs zweites Auge öffnete sich. Er blinzelte ins gedämpfte violette Licht seines Ruheraums. Wie viele Topsider schlief er mit nur einer Gehirnhälfte und ließ das damit verbundene, gegenüberliegende Auge stets geöffnet, um Gefahren schneller wahrzunehmen.
Vor allem in unruhigen Zeiten wie diesen verlängerte einem dies oft das Leben. Durch diesen evolutionsbiologischen Trick wirkte er seinem wechselwarmen Organismus entgegen, der ihn im Schlaf kaltblütig und somit langsam werden ließ.
»Ein Traum«, zischte er in den leeren, schlicht eingerichteten Raum. »Nur ein Traum.« Keiner hörte ihn, niemand konnte sich daran stören. Doch es war kein Traum gewesen, wie er gleich darauf erkannte, sondern mehr als das.
Eine Vision.
Er hatte sich im Halbschlaf an seinen Schlüpftag erinnert, doch das dabei Erlebte ging über sich oder einen Traum hinaus. Es endete mit einem Gefühl von Triumph, und auch in der Realität wartete dieser Triumph auf ihn. Schon bald.
Megh-Takarr verließ das nestartige Rundbett, zog seine Stiefel an, strich die Uniform glatt und streckte sich. Langsam trat er aus dem Raum, hinein in die Wohnlandschaft mit dem silbernen Metallbalken in der Mitte.
Der Balken ragte so hoch auf wie seine Hüfte und stand auf zwei fragilen Standbeinen aus transparentem Kunststoff. Ein zerbrechliches Kunstwerk. Megh-Takarr fuhr mit den Fingern über die Oberfläche, spürte die zahlreichen Kerben, die er mit einer Kralle in das weiche Material geritzt hatte. Eine für jeden Erfolg, egal wie groß oder klein dieser Erfolg gewesen war. Hunderte solcher Einbuchtungen, lange und kurze, zogen sich über den Balken und bildeten geheimnisvolle Muster. Vereint formten sie ein Symbol dafür, das nur er allein verstand – alles war möglich, er konnte alles vollbringen, wenn er es nur wahrhaft wollte.
Es bestärkte Megh-Takarr auf dem Weg seiner Lebensvision. Er sah ein starkes, wachsendes Topsid vor sich, das Arkon die Stirn bieten würde.
Ich konnte schon viel zu lange keine neue Kerbe zufügen.
Verdrossen trat der Despot an das Gebilde heran und spürte dabei dem Schmerz nach, der noch immer von den behandelten Wunden ausging, die er sich im Purpurnen Gelege und danach während der Kämpfe zugezogen hatte. Er war in eine Falle getappt – aber wenigstens nicht unvorbereitet. Ohne seine Sicherheitsvorkehrungen und den Brustschutz wäre er nun tot. Die hinterhältigen Rebellen würden seine Leiche präsentieren, vielleicht im Triumphzug durch das Regierungsviertel Sendschai-Karth führen.
Ärger stieg in ihm auf, als er nur daran dachte. Er verbreitete über seine Drüsen unwillkürlich einen stechenden Geruch, als er sich vor Augen hielt, wie Bismall-Kehn ihn hereingelegt hatte.
Der Lustgelege-Besitzer gehörte zu diesem vielfach verfluchten Haufen unwürdiger Subjekte, die sich die Kaltblütigen nannten und nichts Besseres im Sinn trugen, als die Stabilität der inneren Sicherheit des Despotats zu gefährden.
Narren!
Verräter! Kein Wunder, dass einer ihrer Anführer ein Bordell betrieb. Es passte zu diesen widerlichen Gestalten; und mochte dieser Bismall-Kehn noch so sehr betont haben, dass viele Ehrwürdige immer wieder den Weg in sein Etablissement fanden. Durch die Falle im Getto Khir-Teyal hatte Megh-Takarr nicht nur kurzzeitig um sein Leben gefürchtet; nein, ihm war auch Erikk-Mahnoli entkommen, der Arkonide, den er dringender brauchte als jeden seiner Soldaten.
Die verfluchte Nestbeschmutzerin Khatleen-Tarr hatte ihm den Arkoniden geraubt. Ohne sie hätte Erikk-Mahnoli niemals fliehen können. Wohin auch?
Seine Finger schlossen sich um den Balken, als wollten sie ihn mitsamt seinen Kerben zerquetschen. Mit einem Mal kam ihm jede Einbuchtung wie ein Hohn vor. Alle früheren Erfolge verblassten angesichts seines aktuellen Versagens.
Schlimm genug, dass ihm der wertvolle Arkonide entkommen war, aber der Verrat Gihl-Khuans schmerzte ihn noch weit mehr. Sein bester Jäger hatte sich von ihm losgesagt und die Seite gewechselt. Statt ihm den Arkoniden und die Nestbeschmutzerin auszuliefern, hatte sich Gihl-Khuan den Fliehenden angeschlossen und seine Befehle ignoriert. Er hatte sich ihm, dem Despoten, seinem Herrscher, widersetzt. Und das, obwohl er in seinem Jäger einen Gleichgesinnten gesehen hatte,
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