Perry Rhodan Neo 030 - Hort der Weisen
er zurück in das Ei kriechen. Einen Augenblick war es genau das, was er sich wünschte, denn zwischen den harten Wänden hatte er mehr Sicherheit gespürt als im fremden Außerhalb. Nun war er verloren und nur ein winziger Punkt in der ewigen Vielfalt rund um ihn her. Hinter ihm wurde der scharf umrissene Fleck immer kleiner, verschwand bald völlig und das Licht mit ihm.
Hektisch züngelnd nahm Megh-Takarr neue Gerüche auf. Einige ließen seine Mägen zucken und die Speiseröhren krampfartig kontrahieren. Andere versprachen Verheißung, Abenteuer. Alles war neu und aufregend, aber gleichzeitig auch auf eine Weise erschreckend, die seine Schuppen kalt werden ließ. Verstörung breitete sich in ihm aus, verstärkt durch eine neue Bewegung, die er im Augenwinkel wahrnahm.
An den Flanken seines Nestes schoben sich scharfe Zacken aus dem Wasser. Im Unterschied zu allen anderen Formen bisher lebten diese Gebilde.
Tiere, verstand er. Feinde. Gefahr.
Ein jäher Stich jagte durch Megh-Takarrs Brust, als die Vorhöfe seines Herzens zu überlegen schienen, ob sie weiterarbeiten sollten oder nicht. Er zog die Finger vom Nestrand zurück. Eine der insgesamt drei Zacken-Flossen stand ihm bedrohlich nah und kam noch näher. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zum Rand des Kanals, wo das Wasser in harten, unbewegten Stein überging. Dorthin musste er. Aber wie?
Der Schmerz in seiner Hand kehrte wieder. Megh-Takarr ignorierte ihn.
Eines der Tiere schwamm heran. Die weiße Flosse war das Einzige, was in der Dunkelheit als fahler Schemen zu erkennen war. Der Körper des jungen Topsiders war gebannt, während seine Gedanken davonjagten, als wollten sie das tun, was der Leib nicht vermochte – nämlich fliehen. Eine Erschütterung ließ ihn schwanken. Der Feind warf sich gegen das Nest. Einmal. Zweimal.
Dann kippte Megh-Takarrs Welt. Er stieß sein erstes, überraschtes Zischen aus, stürzte in die Holzstangen, überschlug sich und landete im Gurgeln und Rauschen der Wellen. Sein Herz raste, Panik überkam ihn. Mit Armen und Beinen schlug er um sich, trotzdem sank er, tauchte ein in die braunschwarze Flüssigkeit, die ganz anders roch und schmeckte als die transparente, wohlschmeckende auf seinen Schuppen.
Wasser klatschte über ihm zusammen. Einer der Feinde schoss heran. Megh-Takarr erkannte einen schemenhaften Umriss, fünfmal so lang wie er selbst. Über einem breiten Maul saß unter einem Wulst ein einziges gelbes Auge, das ihn bösartig anstarrte. Der Topsider versuchte zu schwimmen, um zu entkommen. Es gelang ihm nicht. Scharfe Zähne bohrten sich in seinen Unterschenkel. Er schrie. Flüssigkeit füllte seinen Mund und drohte ihn zu ersticken. Sein Bein verging in Qualen.
Die Pein in seinem Körper zog ihn auf einen Abgrund zu, in dem das Vergessen lockte. Komm zu mir. Komm und finde Ruhe. Es war ganz einfach: Wenn er losließ, konnte es endgültig dunkel werden, und alles war gut. Der Schmerz würde fort sein. Für immer.
Doch aufzugeben war keine Option. Nicht für Megh-Takarr.
Er trat mit dem anderen Bein zu, zog den Stützschwanz wie einen Stachel zurück und rammte ihn in das kleine gelbe Auge über dem Maul.
Es knirschte, etwas platzte, und heißer Schleim rann über seine Schuppen, ehe er davonspülte.
Sein Bein kam frei, als das Monster zuckend losließ. Das Wasser schäumte, und dunkle Schlieren trieben darin von der Bestie weg, die ihn hatte fressen wollen. Sie zogen inzwischen nahe am Rand des Kanals dahin.
Megh-Takarr schoss darauf zu, packte die Kante und zog sich hinauf.
Hinter ihm folgten die anderen Feinde. Er schmeckte seine eigene Angst, und sie brannte bitter auf der Zunge. Mit einem weiten Satz kam er aus dem Wasser, rollte sich über beruhigend harten Boden und fand eine Wand mit einem schlüpflingsgroßen Riss.
Panisch zog er sich in den Spalt zurück, sah mit wild schlagendem Herzen und brennenden Hornplättchen zum Abwasserkanal hin. Die beiden Feinde sprangen in schäumendem Glucksen auf und ab, verließen ihr Element aber nicht. Sie trauten sich nicht ins Trockene, oder sie konnten dort nicht existieren. Sei es, wie es sei, Megh-Takarr atmete auf. Er hatte es überstanden.
Erst in diesem Moment nahm er sich die Zeit, seine schmerzende Handfläche anzusehen. Ein Schalensplitter steckte darin. Mit einem Ruck zog er ihn heraus und betrachtete im Halbdunkel die rote Flüssigkeit, die aus der Wunde quoll. Euphorie überkam ihn, die das Pochen in der Hand und im Bein belanglos machte.
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