Perry Rhodan Neo 3: Der Teleporter (German Edition)
unbegreiflich, zerstückelt wie ein Albtraum. Verstehst du, was ich meine?«
»Sicher. Mir geht es nicht viel anders. Sid reißt uns mit in seinen Strudel. Wenigstens hat er jetzt ein Ziel.«
»Er will sich seinem Peiniger stellen.« Marshall fiel auf, dass er den mysteriösen Unbekannten nicht länger als Ausgeburt von Sids Verfolgungswahn einstufte, sondern seine Existenz als gegeben hinnahm. Ein Phantom gewann an Kontur, wenn man wusste, dass es mit Vornamen Clifford hieß. Mehr nicht, freilich. »Befinden wir uns in Narco County?«
»Vermutlich. Ich hatte noch keine Gelegenheit, um festzustellen, wer hier das Sagen hat. Spielt wohl auch keine so große Rolle. Ob Regionalgouverneur oder Drogenboss, in der alltäglichen Praxis macht das wenig Unterschied.«
Sue. Immer geerdet, mit den Fußsohlen flach am Boden. Marshall wälzte sich aus dem Bett. Er fand seine klammen, vor Dreck starrenden Jeans und schlüpfte, die Nase rümpfend, hinein. Ein Königreich für ein heißes Bad und frische Kleidung ...
Funkengestöber verdichtete sich zu Sid.
Sid »Spark« González.
Ein Halbwüchsiger, gerade einmal sechzehn Jahre alt, eher noch jünger und jedenfalls unreifer aussehend. Verletzlich, weil er unverkennbar früher oftmals verletzt worden war. Unsicher, geplagt von Minderwertigkeitskomplexen, kaum fähig zu Sozialkontakten, weshalb er sich in Phantastereien geflüchtet und eine dicke Schicht von Babyspeck zugelegt hatte, wohl als eine Art Panzerung. Das war der Sid gewesen, den John Marshall ins Pain Shelter aufgenommen und zu betreuen versucht hatte – ohne dabei die anderen, teilweise in noch viel schlimmerem Zustand, von der Straße aufgelesenen Kinder zu vernachlässigen. Sid, der sich in seinem Zimmer einbunkerte und Raumschiffmodelle bastelte. Sid mit den zwei linken Händen und den immerzu über Hindernisse stolpernden O-Beinen. Der dicke, unbeholfene, in wirre Träume versponnene, harmlose Sid.
Menschen ändern sich , dachte Marshall. In Nuancen, gemächlich, über Jahre. Sie legen ein paar Marotten ab und fangen sich neue ein. Manchmal geraten sie sogar an eine Wegkreuzung und schaffen es, im rechten Winkel abzubiegen.
Aber nicht so. Nicht binnen weniger Tage und nicht dermaßen frappant.
Der neue Sid hatte kein Gramm überflüssiges Fett am Körper. Da war nichts mehr, wovon er noch hätte zehren können. Seine Kopfhaut spannte sich wie mumifiziert um die Schädelknochen, um die vertrauten, jedoch von Entbehrung entstellten Gesichtszüge. Ohren, Nase, Zähne traten grotesk hervor.
Sue lief zu ihm, berührte ihn mit ihrem Armstumpf am Hals, pumpte förmlich Lebensenergie in ihn hinein. Er ließ es zu, ließ auch ein wenig Anspannung von sich abfallen, aber nur ein wenig. Über die bleichen Wangen huschte ein Schimmer von Rötung.
»Himmel, Junge«, sagte Sue bitterlich, »ich kann das nicht mehr kompensieren, was du dir antust. Mach halblang. Sieh ein, dass du dir eine Pause gönnen musst!«
Kopfschüttelnd stieß Sid hervor: »Geht nicht. Er lauert, immerzu stellt er mir nach. – Seid ihr meine Freunde oder nicht?«
Marshall hatte das Gefühl, als verklumpten sich seine Eingeweide. Der Junge war kein Junge mehr, schon gar kein Kind. Er wirkte mehr als erwachsen, fast schon altersweise. Wie jemand, der sehenden Auges dem Tod entgegenging.
In Sid war nichts zu lesen außer Angst. Und Feuer, brennend heißes Feuer, das sich jeden Moment in einer Explosion aus Funken entladen konnte. »Seid ihr auf meiner Seite oder nicht?«, bohrte er.
»Wir sind bei dir, Spark«, sagte Marshall. »Immer gewesen, seit wir uns kennen. Sue und ich, wir sind deine Freunde. Wir wollen dir helfen. Aber du machst es uns nicht gerade einfach.«
»Ich, ich, ich ... kann nichts dafür, John. Er, er ... wollte mich zu einem Monster machen!«
»Dieser Clifford?« Marshall versuchte, telepathisch den Nachnamen zu erfahren oder an andere weiterführende Informationen zu gelangen.
Aber der Trick, der bei Jack, dem Coyoten, so gut funktioniert hatte, ging nicht auf. Sids Gedanken rasten im Kreis, so rapide, dass ihnen nichts Konkretes zu entnehmen war. Offenbar gab es nicht nur einen Grenzwert nach unten, sondern auch einen nach oben: zu wenig Emotion oder viel zu viel. Die Welt, die trügerische Realität dieses überhitzten Hotelzimmers irgendwo südlich der Staatengrenze, drehte sich um Marshall. Geckos plärrten brunftig, Putz blätterte von den Wänden, Sue konnte sich nicht zerreißen zwischen zwei Gefährten, denen
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