Perry Rhodan Neo 6: Die dunklen Zwillinge (German Edition)
des Schützen herausgesucht, hatte ihm den »Senden«-Button gezeigt.
»Wieso antwortet Sanders nicht?«
»Er ist im Krieg, er ...«
»Nein«, unterbrach er sie. »Er ist nicht mehr im Irak. Er hatte nur noch neunundzwanzig Tage vor sich.« Er wusste mit unumstößlicher Sicherheit, dass er recht hatte. Es hätte ihm Mut machen sollen, aber tatsächlich steigerte es seine Verzweiflung. Er erinnerte sich an die verbleibenden Einsatztage eines Kameraden – aber nicht mehr an seinen eigenen Bruder?
»Es muss nichts bedeuten«, sagte Julie. »Vielleicht nimmt Ihr Kamerad eine Auszeit? Weit weg von allem?«
Monterny schüttelte den Kopf. Sofort stieg Übelkeit in ihm auf, die ihn würgen ließ. Er atmete tief durch, wartete, bis der Brechreiz nachgelassen hatte, und sagte: »Sanders würde keinen Tag aushalten, ohne am Netz zu hängen!«
»Mag sein. Aber was, wenn er gerade keinen Zugang hat?«
Dann würde er alles tun, um ihn zu kriegen!, versetzte Monterny in Gedanken. Aber er sprach es nicht aus. Sanders war ihm wichtig, ja. Aber was ihn quälte, war etwas anderes: »Ivanhoe! Was ist mit ihm?«
Die Therapeutin zuckte die Achseln. »Sie haben ihm eine Mail geschrieben. Wie Sanders.«
»Er antwortet nicht.«
»Clifford, das muss nichts bedeuten.«
»Doch!«
»Wie kommen Sie darauf? Corporal Goratschin ist ...«
»Ivanhoe ist nicht mehr!«, unterbrach er sie.
»Was meinen Sie damit?«
»Ich habe nach ihm gesucht. Überall im Netz. Seine Myspace-Seite ist weg! Alles ist weg! Wenn ich seinen Namen google, erhalte ich keine Treffer!«
Sie rang um eine Antwort. »Clifford, bedenken Sie Ihren Zustand. Ihr Gehirn ist verletzt. Seine Funktion ist beeinträchtigt. Sie ...«
»Ich bin kein Krüppel!«
»Sie sind ein Mensch. Und Menschen übersehen Dinge. Das ist ganz normal. Sie werden sehen, morgen ...«
»Nein! Ich würde Ivanhoe nicht übersehen. Niemals!«
Julie stieß sich ab, rückte auf dem Rollenhocker weiter von ihm ab. Als fürchte sie, dass er sie anspringen könnte.
»Julie, Sie verschweigen mir etwas. Geben Sie es zu! Sagen Sie mir die Wahrheit: Was ist mit Ivanhoe?«
»Clifford, Sie überschätzen mich. Ich bin nur Ihre Therapeutin. Ich helfe, so gut ich kann, aber ich bin kein Übermensch. Ich ...«
»Ich will nur wissen, was mit Ivanhoe geschehen ist! Lebt er noch? Bitte sagen Sie es mir!«
Tränen traten in Julies Augen.
»Was ist mit Ivanhoe? Lebt er? Bitte, Julie! Sagen Sie es mir!«
Tränen rannen über Julies Wangen.
»Er ist schwer verletzt, nicht?«, brüllte Monterny. »Es geht ihm noch schlechter als Scrag und Bosley! Ist es das?«
Sie senkte den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen. »Clifford ...«, sagte sie und sah dabei auf die Uhr, um seinem Blick nicht begegnen zu müssen. »Es tut mir leid. Unsere Zeit ist um für heute. Ich darf die anderen Patienten nicht warten lassen.«
Sie floh aus dem Zimmer.
Julie kam nicht wieder.
Am nächsten Tag übernahm eine andere Frau ihre Aufgabe: Mrs. Keefer. Mrs. Keefer war älter und streng.
Auf Monternys Nachfrage, was mit Ms. Ledge geschehen wäre, antwortete sie knapp, Ms. Ledge wäre abgeordnet worden.
Die steife Mrs. Keefer deutete es mit keiner Silbe an, aber Monterny wusste, weshalb Julie nicht wiederkam. Er hatte sie mit seiner Wut vertrieben.
Die Erkenntnis fachte seine Wut nur weiter an. Mrs. Keefer kümmerte es nicht. Sie ließ seine Wut ins Leere laufen. Die Liste am Klemmbrett war für sie ein Skript, von dem sie niemals abwich, ganz gleich, wie Monterny sie provozierte. Sie saß einfach auf dem Hocker und wartete schweigend, bis seine Tiraden so viel Übelkeit heraufbeschworen, dass ihm die Luft ausging, dann fuhr sie an der Stelle fort, an der sie unterbrochen worden war.
Nach einigen Tagen gab Clifford Monterny es auf. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass Julie ihn zumindest in einem nicht belogen hatte: Der Weg war lang und steinig. Aber es war ein Weg. Er führte zurück zu dem, was Menschen selbstverständlich erschien.
Die Übelkeit ließ nach. Monterny wurde es gestattet, das Bett zu verlassen. Anfangs flankiert von zwei kräftigen Pflegern und auf einen Rollator gestützt. Es war entwürdigend. Gleichzeitig gewann er bald einen Teil seiner Würde zurück, als es ihm gelang, selbstständig die Toilette aufzusuchen.
Sein Gedächtnis kehrte zurück. Allmählich nur und bruchstückhaft – der Tag seiner Verwundung endete weiter mit dem Bild von Ivanhoe, der den Jungen auf den Armen hielt
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