Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
schwerwiegende Mängel, die seit langem bekannt sind und entsprechend intensiv in der Philosophie und Strafrechtstheorie diskutiert werden. Der wichtigste Mangel besteht darin, dass niemand sich genau vorstellen kann, wie eine »freie moralisch-rationale Entscheidung« gegen die eigenen Motive, die dem Täter von der herrschenden Strafrechtstheorie als Möglichkeit unterstellt wird, überhaupt aussehen kann. Interessanterweise ist dies auch der Fall, wenn wir die Sicht der Hirnforschung
und der empirischen Psychologie ablehnen, dass menschliches Denken und Tun im Rahmen von Naturgesetzen abläuft. Selbst wenn wir also annehmen, wir Menschen seien in unseren Entscheidungen »rein geistige Wesen«, so müssten wir doch davon ausgehen, dass es Motive sind, die unser Handeln bestimmen, d. h. psychische Kräfte . Diese Motive leiten unsere Entscheidungen und unser Handeln, und sie müssen zumindest zum beträchtlichen Teil aus unserer Erfahrung oder Erziehung stammen. Täten sie dies nicht , so wäre unser Handeln eben un-motiviert und erschiene zufällig, denn sie hätten mit uns nichts zu tun. Man würde sagen: Warum er das getan hat, weiß ich nicht, ich erkenne dafür keinerlei Motive bzw. Gründe. Würden wir also völlig unabhängig von unseren Motiven und damit unabhängig von unserer Erfahrung handeln, dann wären wir auch nicht für unser Handeln verantwortlich.
Als Psychologen, Verhaltensbiologen oder Hirnforscher müssen wir also grundsätzlich von einem Motivdeterminismus ausgehen: Es ist in unserer psychischen Realität schwer oder gar nicht vorstellbar, dass wir eine Handlung begehen und andere unterlassen, ohne dass diese Entscheidung auf dem Überwiegen eines bestimmten Motivs in einem unterschiedlich großen Komplex von Motiven beruht. Dies gilt zum einen für den Fall, dass wir ohne großes Nachdenken etwas tun – hier ist die Motivlage relativ einfach. Es gilt aber auch für den Fall, dass wir uns lange und sorgfältig überlegen, was wir tun wollen. Hier kommt es zu einem »Kampf der Motive«, und ein bestimmtes Motiv wird aufgrund seiner relativen Stärke gewinnen. Sind zwei Motive genau gleich stark, dann ist das, was ich tue (sofern ich nicht typischerweise nichts tue), rein zufällig. In diesem Sinne kann es außer bloßem Zufall keine un-motivierten Entscheidungen und Handlungen geben. Vielmehr wird gerade angenommen, dass Motive diejenigen psychischen Zustände sind, die meine Handlungen bestimmen.
Es ergibt sich also das scheinbare Paradox, dass uns aus psychologischer Sicht nur dann Handeln als unser Handeln zugeschrieben werden kann, wenn es von unseren Motiven bestimmt wird, während von der herrschenden Strafrechtstheorie (auf Kant zurückgehend) das genaue Gegenteil als Grundlage für Willensfreiheit angesehen wird, nämlich die Fähigkeit, sich von der Bedingtheit durch Motive zu befreien. Man könnte nun einwenden, dass es ja nicht um völlig motivloses Handeln geht, sondern wir sollen uns eben nur von einem Motiv lenken lassen, nämlich moralisch-rechtstreu zu handeln. Dieses Argument kann man aber leicht zurückweisen: Entweder entstand dieses Motiv der Rechtstreue in mir zufällig und selbst »motiv-los«, dann kann es mein Handeln gar nicht bestimmen, oder das Rechtsgewissen ist Produkt meiner Erziehung oder Lebenserfahrung, und dann unterliegt es wie alle Motive den Eigentümlichkeiten meiner Persönlichkeitsentwicklung. Ich kann mich nicht, außer durch rein zufälliges Verhalten (falls es so etwas gibt), außerhalb meiner Persönlichkeit und ihrer Geschichte stellen.
Freiheit und Determinismus
Man könnte nun hieraus den Schluss ziehen, dass es keine Freiheit geben kann, wenn meine Persönlichkeit durch meine Motive und damit durch Gene, Hirnentwicklung, Prägung und Lebenserfahrung determiniert ist. Daher haben einige Philosophen die Alternative formuliert: Ist alles determiniert, so kann es keine Willensfreiheit geben; ist nicht alles determiniert und es gibt also »Lücken« im allgemeinen Determinismus, dann lässt dies Raum für Willensfreiheit. In einem Büchlein, das der Magdeburger Philosoph Michael Pauen und ich unter dem Titel »Freiheit, Schuld und Verantwortung« gerade veröffentlicht haben, haben wir zu zeigen versucht, dass diese Schlussfolgerung doppelt falsch ist, und unsere Argumentation will ich hier kurz darstellen (Pauen und Roth, 2008).
Beginnen wir mit der zweiten Behauptung, nämlich dass »Lücken« im allgemeinen Kausalzusammenhang für
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