Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
ein Messer, Junge, ich habe das Disputieren satt, ich werde nachsehen! Ich setze den Schnitt längs der zu erwartenden Bissspuren. Wenn Ihr Recht habt, besteht keine Verbindung zwischen Biss und dem Rest. Wenn ich aber richtig liege, dann sollten wir etwas finden. Etwas, das injiziert wurde, ein Gift, einen Parasiten oder einen Wundkanal …“
Die beiden jüngeren Ärzte traten dazu, und Junge, der Zweite der beiden, der sich noch nicht geäußert hatte und dem Ganzen nur still zugehört hatte, reichte dem Älteren ein Skalpell.
Stanken hatte in seinem Leben schon viele Körper aufgeschnitten, gebrochene, zerschnittene, Stichwunden, Schusswunden, Quetschungen und Prellungen. Er kannte sich aus. Die Bissspuren lagen seitlich am Hals, direkt über oder neben der Schlagader. Vorsichtig setzte er das scharfe Instrument an und zog es in einem sauberen Bogen entlang der Ader. Kein Tropfen Blut löste sich aus dem rosigen Gewebe. Man konnte die Einzelheiten in aller Deutlichkeit unterscheiden.
„Da seht es selbst, meine Herren!“
Der oberste Pestarzt deutete triumphierend auf den offenen Schnitt. Im Fett- und Muskelgewebe konnte man genau die Einstiche von scharfen Zähnen erkennen, die sich ins Fleisch gebohrt, die Ader durchstochen und dort einen Hohlraum geschaffen hatten. Ungefähr von der Größe eines Hühnereis hatte sich um die Ader herum alles Fleisch aufgelöst und Auswüchse schienen in den Körper darunter zu reichen.
„Dort ist etwas hineingespritzt worden, dass das Fleisch, die Haut und sogar die Knochen auflösen kann, vermute ich. Wohl um die Blutgerinnung zu unterbinden, die sonst das Trinken erschweren würde.“
Junge beugte sich vor und griff nach dem Skalpell. Er schnitt weiter und folgte dem Verlauf einer der Verästelungen, die von dem Hohlraum im Hals des Apothekers ausging. Sie zog sich durch den ganzen Körper. Junge schnitt bis zu den unteren Rippen und fand alle paar Zoll eine weitere kleine Höhlung und in mancher davon ein seltsam riechendes Gemisch aus wässrigen Blutresten und einer anderen Flüssigkeit. Ein leichter Duft von Lavendel lag in der Luft.
Abrupt legte Junge das Messer beiseite. Er hatte sich nicht einmal schmutzig gemacht, so wenig Blut befand sich noch in der Leiche.
„Verdammt soll ich sein“, sagte er leise. „Ich glaube, der Geheime Rat Professor Doktor Stanken hat Recht. Wir haben es mit Vampiren zu tun!“
Hinrichs schnaubte herablassend durch die Nase. Er griff unter sein gestärktes Hemd, zog eine Kette hervor, an deren Ende ein Kreuz hing. Er nestelte den Anhänger von der Kette ab und legte ihn auf die Brust des Apothekers.
„Vampire, ja? Dann müsste er ja jetzt verbrennen, oder?“ Der Hohn in Hinrichs Stimme tropfte förmlich in die Stille.
Die beiden anderen Mediziner sahen Hinrichs erstaunt an. Nichts geschah.
„’schuldigung, die Herren, aber das geht doch nur mit Vampiren und nicht mit denen ihren Opfern … und die sind ja auch schon hinüber, sind sie … ich mein ja nur.“ Wimmer senkte den Kopf und schwieg. Was redete er denn da in Gegenwart der hochgebildeten Herren!
„Verdammt, der Mann hat Recht, wenn Ihr mich fragt, meine Herren!“, rief Professor Stanken und brach in lautes Lachen aus, in das Junge mit einfiel. Wimmer grinste verschämt. Nur Hinrichs zog eine grimmige Miene und starrte wütend zu Wimmer hinüber.
Elisabeth liebte ihre Schwester, wie sie selbst von dieser geliebt wurde. Sie konnte sich immer auf ihre große Schwester verlassen, das wusste sie so sicher, wie der Herr Jesus gen Himmel gefahren war. Trotzdem fühlte sie sich von Rebekka oft gegängelt, eingeengt.
Die Neugier fraß sie fast auf! Wie gern wäre sie jetzt durch die Straßen gestreift, um den neuesten Tratsch aufzuschnappen. Der Apotheker wäre ermordet worden! Ein Mord war selten, obwohl Elisabeth schon viele Tote gesehen hatte in ihrem noch gar nicht so langen Leben. Im Hafen gab es nahezu täglich Unfälle, oft auch mit tödlichem Ausgang, und die armen Verunglückten wurden in offenen Leiterwagen in die Pathologie zu Professor Stanken gebracht, sommers wie winters, für alle sichtbar. Der Tod war ein Teil ihres Lebens. Und seit der Schwarze Tod in der Stadt Quartier bezogen hatte, umso mehr. Schon ein gutes Viertel der Menschen war gestorben, seit die Pest wütete. Bettler in zerrissenen Lumpen und Offiziere in glänzendem Kürass, hohe Herren in Samt und Arbeiter in Leinen und Leder, sie alle brannten abends gemeinsam in der verzehrenden Flamme
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