Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
er sich zehn Dukaten in die Tasche und begab sich zum Herausgeber einer verbreiteten Zeitung, um ihn um großmütige Förderung zu bitten; der Journalist empfing ihn ungemein freundlich, sprach ihn mit »Verehrtester« an, drückte ihm beide Hände, erkundigte sich eingehend nach dem Namen, Vatersnamen und Adresse, und schon am nächsten Tag erschien in der Zeitung gleich nach einer Anzeige über eine neuerfundene Sorte von Talglichtern ein Artikel mit der Überschrift: »Von der ungewöhnlichen Begabung Tschartkows!« – »Wir beeilen uns, den gebildeten Bewohnern der Residenz zu einer neuen, man kann wohl sagen, in jeder Beziehung herrlichen Erscheinung zu gratulieren. Alle sind darin einig, daß wir wohl eine Menge wunderbarer Physiognomien und schöner Gesichter haben; es fehlte aber bisher an einem Mittel, sie auf eine wundertätige Leinwand zu bannen, um sie der Nachwelt zu überliefern. Dieser Mangel ist jetzt aufgehoben; es hat sich ein Maler gefunden, der in sich alles, was man dazu braucht, vereinigt. Die Schöne kann jetzt überzeugt sein, daß sie mit der ganzen Grazie ihrer luftigen, leichten, bezaubernden, angenehmen, wunderbaren Anmut, die an einen über Frühlingsblüten schwebenden Falter gemahnt, verewigt sein wird. Der ehrwürdige Familienvater wird sich von seiner ganzen Familie umgeben sehen. Der Kaufmann, der Soldat, der Bürger, der Staatsmann, ein jeder wird seine Tätigkeit mit neuem Eifer fortsetzen können. Eilt, eilt, vom Spaziergang, vom Gange zu einem Freund, zu einer Kusine, in ein glänzendes Geschäft, eilt, woher es auch sei. Das großartige Atelier des Künstlers (Newskij-Prospekt, Nummer soundsoviel) ist mit Werken seines Pinsels angefüllt, der eines Van Dyck und eines Tizian würdig wäre. Man weiß nicht, worüber man mehr staunen soll: über die Naturtreue und die Ähnlichkeit mit den Originalen, oder über die ungewöhnliche Lebendigkeit und Frische der Pinselführung. Ehre sei Ihnen, Herr Künstler! Sie haben ein glückliches Los in der Lotterie gezogen. Vivat Andrej Petrowitsch! (der Journalist liebte wohl familiäre Wendungen). Machen Sie sich und auch uns berühmt. Wir verstehen Sie zu schätzen. Der allgemeine Zulauf und zugleich auch irdische Güter, – obwohl mancher Journalist gegen diese kämpft, – werden Ihr Lohn sein.«
Mit geheimer Wonne las der Maler diese Reklame, und sein Gesicht erstrahlte. Man sprach von ihm schon in der Presse, – das war für ihn neu. Einigemal las er die Zeilen durch. Der Vergleich mit Van Dyck und Tizian schmeichelte ihm sehr. Der Satz: »Vivat Andrej Petrowitsch!« gefiel ihm gleichfalls sehr: man nannte ihn in der Zeitung mit seinem Vor- und Vatersnamen, – diese Ehre war ihm bisher ganz und gar unbekannt. Er fing an, mit schnellen Schritten auf und ab zu gehen und sich das Haar zu zerzausen; bald setzte er sich in einen Sessel, bald stand er auf und setzte sich auf das Sofa, wobei er sich immer vorstellte, wie er die Besucher und Besucherinnen empfangen würde; bald trat er vor die Leinwand und machte eine elegante Geste mit dem Pinsel, indem er sich bemühte, der Hand einen möglichst graziösen Schwung zu verleihen.
Am nächsten Tage klingelte es an seiner Tür; er beeilte sich selbst aufzumachen. Es war eine Dame, in Begleitung eines Lakaien in pelzgefütterter Livree; zugleich mit der Dame erschien ihre Tochter, ein junges Mädchen von achtzehn Jahren.
»Monsieur Tschartkow?« fragte die Dame.
Der Maler verbeugte sich.
»Es wird über Sie so viel geschrieben; man sagt, Ihre Porträts seien der Gipfel der Vollkommenheit.« Mit diesen Worten nahm die Dame ihr Lorgnon vor die Augen und eilte zur Wand, an der jedoch nichts hing. »Wo sind denn Ihre Porträts?«
»Man hat sie hinausgetragen,« antwortete der Maler, etwas verwirrt. »Ich bin soeben in diese Wohnung gezogen, und die Bilder sind unterwegs … sie sind noch nicht hier.«
»Waren Sie schon in Italien?« fragte die Dame, ihr Lorgnon auf ihn richtend, da sie nichts anderes fand, worauf sie es hätte richten können.
»Nein, ich war noch nicht dort, wollte aber hin … Ich habe es übrigens nur aufgeschoben … Hier ist ein Sessel; sind Sie nicht müde? …«
»Ich danke, ich habe lange genug in der Equipage gesessen. Da sehe ich endlich Ihre Werke!« sagte die Dame, zu der Wand gegenüber laufend und das Lorgnon auf die auf dem Boden stehenden Studien, Skizzen, Perspektiven und Porträts richtend. » C’est charmant , Lise! Lise, venez ici . Ein Zimmer
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