Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
wie es in einer so großen Ansammlung von Kunstkennern nur selten anzutreffen ist, herrschte diesmal im ganzen Saal. Er beeilte sich, eine vielsagende Kennermiene aufzusetzen, und näherte sich dem Bilde. Gott, was erblickte er da!
    Keusch, makellos und schön wie eine Braut stand vor ihm das Kunstwerk. Bescheiden, göttlich, unschuldig und einfach wie ein Genie erhob es sich über allem. Die himmlischen Gestalten schienen, wie über die vielen auf sie gerichteten Blicke erstaunt, ihre schönen Wimpern schamhaft zu senken. Mit dem Gefühl eines unwillkürlichen Staunens betrachteten die Kenner dieses neue, nie gesehene Werk. Alles schien hier vereint: das Studium Raffaels, das sich im hohen Adel der Stellungen spiegelte, das Studium Correggios, von dem die Vollendung der Pinselführung zeugte. Mächtiger als alles sprach aber daraus die in der Seele des Künstlers selbst eingeschlossene Schöpfergabe. Auch der letzte Gegenstand im Bilde war von ihr durchdrungen; in allen Dingen war das Gesetz und die innere Kraft erfaßt; wie auch jene sanfte Rundung der Linien, die in der Natur enthalten ist und die nur das Auge des schöpferischen Künstlers erspäht, während sie beim Kopisten eckig gerät. Man sah, wie der Künstler alles, was er aus der äußeren Welt geschöpft, zuerst in seine eigene Seele eingeschlossen und dann erst dieser innersten Quelle als einen harmonischen, feierlichen Gesang entsteigen lassen hatte. Und es wurde selbst den Uneingeweihten klar, was für ein unermeßlicher Abgrund zwischen einem Kunstwerk und einer einfachen Kopie nach der Natur liegt. Es ist fast unmöglich, die ungewöhnliche Stille zu beschreiben, von der alle, die ihre Blicke auf das Bild hefteten, ergriffen waren: kein Geräusch, kein Ton; das Bild erschien aber von Minute zu Minute erhabener: immer strahlender und wunderbarer löste es sich von allem, was es umgab, los und wurde zuletzt zu einem Augenblick, zur Frucht des dem Künstler vom Himmel eingegebenen Gedankens, – zu einem Augenblick, vor dem das ganze Leben des Menschen nur als eine Vorbereitung erschien. Die Gäste, die das Bild umringten, waren dem Weinen nahe. Alle Geschmacksrichtungen, alle kühnen und gesetzwidrigen Verirrungen des Geschmacks schienen sich zu einer stummen Hymne auf das göttliche Werk zu vereinigen.
    Unbeweglich, mit offenem Munde stand Tschartkow vor dem Bilde und kam erst dann wieder zu sich, als die Gäste und Kenner allmählich das Schweigen brachen, um über den hohen Wert des Werkes zu sprechen, und sich an ihn mit der Bitte wandten, seine Meinung zu äußern. Er wollte schon seine gewohnte, gleichgültige Miene aufsetzen, er wollte eine der üblichen, abgeschmackten Ansichten verhärteter Künstler zum besten geben, wie: »Ja, gewiß, man kann dem Künstler die Begabung wohl nicht absprechen; es ist schon etwas daran; man sieht, daß er etwas ausdrücken wollte; was aber die Hauptsache betrifft …« und dann selbstverständlich einiges Lob hinzufügen, das keinem Künstler wohlbekommen wäre, er wollte es tun, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen, Tränen und Schluchzen entrangen sich ihm, und er stürzte wie ein Wahnsinniger aus dem Saal.
    Eine Minute lang stand er unbeweglich und bewußtlos mitten in seinem großartigen Atelier. Sein tiefstes Wesen, sein ganzes Leben war in einem Augenblick erwacht, als wäre seine Jugend zurückgekehrt, als seien die erloschenen Funken seines Talents von neuem entfacht. Von seinen Augen fiel plötzlich die Binde. Oh Gott! So erbarmungslos die besten Jahre seiner Jugend zugrunde richten, den Funken des Feuers verlöschen, das vielleicht in seiner Brust geglüht hatte, das sich vielleicht jetzt in Majestät und Schönheit entwickelt und vielleicht ebensolche Tränen der Bewunderung und der Dankbarkeit hervorgerufen hätte! Dies alles zugrunde richten, ohne jedes Mitleid zugrunde richten! In diesem Augenblick schien die ganze Spannung, das ganze Streben seiner Seele, das er einst so gut gekannt hatte, wieder erwacht. Er ergriff den Pinsel und trat vor die Leinwand. Schweiß der Anstrengung trat ihm auf die Stirn; er verwandelte sich ganz in einen einzigen Wunsch, er entbrannte in einem einzigen Gedanken: er wollte einen gefallenen Engel darstellen. Dieses Thema entsprach am besten dem Zustande seiner Seele. Aber ach! Seine Figuren, Posen, Gruppierungen und Einfälle gerieten gezwungen und unharmonisch. Sein Pinsel und seine Phantasie hatten sich zu sehr in enge Grenzen eingeschlossen, und der

Weitere Kostenlose Bücher