Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
seiner Tür ging fortwährend die Klingel. Einerseits hätte es für ihn gut sein können, da ihm die unendliche Mannigfaltigkeit der Gesichter eine große Praxis bot. Zu seinem Unglück waren es aber lauter Menschen, mit denen es schwer auszukommen war; hastige, vielbeschäftigte Menschen, oder solche, die der großen Welt angehörten und folglich noch mehr beschäftigt als die anderen, und somit äußerst ungeduldig waren. Von allen Seiten wurde verlangt, daß er gut und schnell arbeite.
Der Maler sah bald die Unmöglichkeit ein, die Porträts wirklich zu vollenden, und daß er es durch Geschicklichkeit und flotte Pinselführung ersetzen müsse: es galt nur das Ganze, den allgemeinen Ausdruck zu erfassen, ohne sich mit dem Pinsel in die feineren Einzelheiten zu versenken; es war, mit einem Wort, ganz unmöglich, der Natur in ihrer Vollendung nachzuspüren. Es ist außerdem zu bemerken, daß die Menschen, die sich von ihm malen ließen, noch viele andere Ansprüche an ihn stellten. Die Damen verlangten, daß die Porträts vorwiegend die Seelen und die Charaktere darstellten, alles übrige aber mitunter ganz weggelassen werden dürfe: daß alles Eckige abgerundet, jeder Fehler geglättet und sogar womöglich ganz vernachlässigt werde, – mit einem Wort, daß das Porträt in dem Beschauer Bewunderung, wenn nicht gar Liebe wecke. Darum nahmen auch die Damen, wenn sie ihm saßen, mitunter einen solchen Ausdruck an, daß der Maler nur so staunte: die eine bemühte sich, Melancholie, die andere Verträumtheit zu mimen; die dritte wollte um jeden Preis ihren Mund kleiner erscheinen lassen und spitzte ihn so, daß er sich schließlich in einen Punkt, kaum so groß wie ein Stecknadelkopf, verwandelte. Dabei verlangten sie von ihm alle Ähnlichkeit und ungezwungene Natürlichkeit. Auch die Männer waren durchaus nicht besser als die Damen: der eine wollte mit einer starken, energischen Wendung des Kopfes dargestellt werden. Der andere mit nach oben gerichteten durchgeistigten Augen; ein Gardeleutnant forderte, daß aus seinen Augen Gott Mars blicke; der Zivilbeamte wünschte, daß sein Gesicht möglichst viel Offenheit und Edelsinn ausdrücke, und daß die Hand auf einem Buche mit der deutlich lesbaren Inschrift: »Er trat immer für die Wahrheit ein« ruhe.
Solche Zumutungen machten den Maler anfangs schwitzen: alle diese Dinge wollten ja überlegt sein, während man ihm nur wenig Zeit dazu ließ. Endlich begriff er, was man von ihm wollte, und machte sich keine Mühe mehr. Schon aus wenigen Worten erfaßte er, als was sich der und jener dargestellt sehen wollte. Wer nach dem Gott Mars verlangte, dem malte er den Mars ins Gesicht; wer sich für einen Byron hielt, dem verlieh er die Pose und die Wendung Byrons. Wollte sich eine Dame als Corinna, Undine oder Aspasia dargestellt sehen, – er ging immer mit der größten Bereitwilligkeit auf alles ein und verlieh einem jeden außerdem auch eine gewisse Anmut, die bekanntlich niemals schadet, für die man dem Maler aber auch Unähnlichkeit verzeiht. Bald staunte er selbst über die wunderbare Schnelligkeit und Flottheit seines Pinsels. Die sich von ihm malen ließen, waren aber selbstverständlich entzückt und erklärten ihn für ein Genie.
Tschartkow wurde in jeder Beziehung zu einem Modemaler. Er fing an, Diners zu besuchen, Damen in die Galerien und sogar auf die Promenade zu begleiten, sich elegant zu kleiden und laut zu verkünden, daß der Künstler der Gesellschaft angehören und seinen Stand hochhalten müsse, während die Künstler sich sonst wie die Schuster kleideten, kein Benehmen hätten, den feineren Ton nicht beobachteten und jeder Bildung entbehrten. In seiner Wohnung und in seinem Atelier sah er auf äußerste Ordnung und Reinlichkeit; er stellte sich zwei großartige Lakaien an, nahm elegante Schüler auf, wechselte einigemal am Tage allerlei Morgenanzüge und kräuselte sich das Haar. Er vervollkommnete immer mehr seine Manieren, mit denen er die Besucher empfing, und widmete sich der Verschönerung seines Äußeren mit allen möglichen Mitteln, um auf die Damen einen angenehmen Eindruck zu machen; mit einem Worte, bald konnte man in ihm den bescheidenen jungen Maler, der einst von niemand gesehen, in seinem Loch auf der Wassiljewskij-Insel gearbeitet hatte, nicht mehr wiedererkennen. Über die anderen Maler und über die Kunst urteilte er nun sehr scharf: er behauptete, daß den alten Meistern eine viel zu hohe Bedeutung zugemessen werde, daß sie
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