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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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alle vor Raffael keine Menschen, sondern Heringe gemalt hatten; daß es nur eine Einbildung der Beschauer sei, wenn behauptet werde, in diesen Bildern sei etwas Heiliges enthalten; daß Michelangelo ein Prahler sei, der überall nur mit seinen anatomischen Kenntnissen habe prahlen wollen; daß ihm jede Grazie fehle, und daß man den wahren Glanz und die wahre Kraft der Pinselführung und des Kolorits nur heutzutage, im jetzigen Jahrhundert suchen dürfe.
    So brachte er die Rede natürlich und unwillkürlich auf sich selbst. »Nein,« pflegte er zu sagen, »ich kann nicht verstehen, wie die andern sich so abmühen können: ein Mensch, der sich einige Monate mit einem Bilde plagt, ist meiner Ansicht nach ein Arbeiter und kein Künstler; ich kann unmöglich glauben, daß er Talent hat. Das Genie schafft kühn und schnell. Dieses Porträt da«, sagte er, sich an die Besucher wendend, »habe ich in zwei Tagen gemalt, dieses Köpfchen in einem Tag, dieses hier in einigen Stunden, und dieses in etwas mehr als einer Stunde. Nein, ich … ich muß gestehen, daß ich es nicht als Kunst ansehen kann, was Strich auf Strich entsteht; es ist Handwerk und keine Kunst.«
    So sprach er zu seinen Besuchern, und die Besucher staunten über die Kraft und den Schwung seines Pinsels und stießen sogar Rufe des Erstaunens aus, als sie hörten, wie schnell die Werke entstanden waren. Hinterher sagten sie zueinander: »Das ist ein Talent! Ein wahres Talent! Schauen Sie nur, wie er spricht, wie seine Augen leuchten! Il a quelque chose d’extraordinaire dans toute sa figure! «
    Es schmeichelte dem Künstler, solche Äußerungen zu hören. Wenn in den Zeitungen lobende Aufsätze erschienen, freute er sich wie ein Kind, obwohl er das Lob mit eigenem Gelde bezahlt hatte. Er trug so ein Zeitungsblatt immer bei sich und zeigte es wie zufällig seinen Bekannten und Freunden, und das machte ihm selbst eine einfältige Freude. Sein Ruhm wuchs, und er hatte immer mehr Arbeit und Aufträge. Schon fingen ihn die immer gleichen Porträts und Gesichter, deren Posen und Wendungen er auswendig kannte, zu langweilen an. Er malte sie schon ohne große Lust und bemühte sich nur irgendwie den Kopf zu skizzieren, überließ aber die Vollendung seinen Schülern. Früher hatte er sich noch immerhin bemüht, eine neue Stellung zu erfinden, den Beschauer durch Kraft und Effekt zu verblüffen. Jetzt langweilte ihn aber auch das schon. Sein Geist war zu müde, Neues zu erfinden. Das konnte er nicht mehr und hatte auch keine Zeit dazu: das Leben voller Zerstreuung und die Gesellschaft, in der er eine Rolle spielen wollte, lenkte ihn von der Arbeit und vom Denken ab. Sein Pinsel wurde kälter und stumpfer, und er schloß sich für sich selbst unmerklich in eintönige, bestimmte, längst abgeleierte Formen ein. Die gleichförmigen, kalten, zugeknöpften, immer gepflegten Gesichter der Militär- und Zivilbeamten boten seinem Pinsel kein zu weites Feld; er interessierte sich nicht mehr für die prunkvollen Drapierungen, für die starken Bewegungen und Leidenschaften. Von geschickten Gruppierungen, künstlerischer Dramatik und erhabener Komposition war nicht mehr die Rede; er sah vor sich nur die Uniform, das Korsett und den Frack, vor denen der wahre Künstler nur Kälte empfindet und jede Phantasie schwindet. An seinen Werken konnte man nun auch die gewöhnlichsten Qualitäten nicht mehr finden, und trotzdem wurden sie noch immer gekauft und erfreuten sich der Berühmtheit, obwohl die wahren Kenner und Künstler beim Anblick seiner letzten Arbeiten nur die Achseln zuckten. Manche aber, die Tschartkow früher gekannt hatten, konnten unmöglich begreifen, wie ein Talent, dessen Anzeichen sich in ihm einst so leuchtend offenbart hatten, so spurlos verschwinden konnte, und bemühten sich zu ergründen, wie im Menschen eine Begabung zu einer Zeit erlöschen konnte, wo er gerade die volle Entfaltung aller seiner Kräfte erreicht.
    ***
    Der berauschte Künstler hörte aber von diesem Gerede nichts. Er war schon wie an Geist, so auch an Jahren gereift: er fing an dick zu werden und in die Breite zu gehen. In den Zeitungen und Zeitschriften las er schon die Epitheta: »Unser verehrter Andrej Petrowitsch, unser hochverdienter Andrej Petrowitsch.« Schon bot man ihm allerlei Ehrenämter an und lud ihn zur Teilnahme an Prüfungen und Komitees ein. Schon fing er an, wie es alle älteren Leute tun, für Raffael und die alten Meister Partei zu ergreifen, doch nicht etwa, weil er sich

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