Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Tätigkeit unter lauter Bettlern, die ihre Lumpen offen zur Schau tragen, ausüben, welche ein reicher Wucherer, der nur mit Leuten, die ihn in Equipagen besuchen, zu tun hat, nie zu Gesicht bekommt. Darum erstarb in ihren Herzen allzufrüh jedes menschliche Gefühl. Unter diesen Wucherern gab es einen … aber ich muß vorausschicken, daß die Geschichte, die ich Ihnen erzähle, ins vergangene Jahrhundert, und zwar in die Regierungszeit der verstorbenen Kaiserin Katharina II. gehört. Sie können sich selbst denken, daß das Aussehen und das innere Leben von Kolomna sich inzwischen erheblich verändert haben müssen. Unter den Wucherern gab es also einen, ein in allen Beziehungen ungewöhnliches Geschöpf, das sich in diesem Stadtteile schon seit langer Zeit niedergelassen hatte. Er kleidete sich in weite asiatische Gewänder; seine dunkle Gesichtsfarbe zeugte von seiner südlichen Herkunft; welcher Nation er aber angehörte, ob er ein Inder, Grieche oder Perser war, das wußte niemand sicher. Der fast ungewöhnlich hohe Wuchs, das dunkle, hagere, sonnenverbrannte Gesicht von einer unergründlich unheimlichen Farbe, die großen, ungewöhnlich brennenden Augen, die überhängenden dichten Brauen unterschieden ihn scharf und kraß von allen aschgrauen Bewohnern der Hauptstadt. Selbst seine Behausung glich gar nicht den kleinen hölzernen Häusern. Es war ein steinerner Bau von der Art, wie sie einst die genuesischen Kaufleute in großer Menge errichteten, mit unregelmäßigen Fenstern verschiedener Größe und eisernen Läden und Riegeln. Dieser Wucherer unterschied sich von allen anderen schon dadurch, daß er imstande war, einem jeden, vom ärmsten alten Weibe bis zum verschwenderischen Höfling, jede beliebige Summe zu verschaffen. Vor seinem Hause erschienen oft die glänzendsten Equipagen, aus denen manchmal der Kopf einer eleganten Weltdame herausblickte. Das Gerücht behauptete natürlich, daß seine eisernen Truhen ungezählte Haufen von Geld, Wertsachen, Brillanten und allerlei Pfänder enthielten, daß ihm aber die Habgier, die die anderen Wucherer auszeichne, fremd sei. Er gab das Geld gern her, teilte die Zahlungstermine scheinbar günstig ein, ließ aber die Zinsen mittels sonderbarer arithmetischer Operationen in eine schwindelhafte Höhe steigen. Das behauptete wenigstens das Gerücht. Was aber am seltsamsten war und viele in Erstaunen setzen mußte, war das sonderbare Schicksal aller, die von ihm Geld erhielten; sie beschlossen alle ihr Leben auf eine elende Weise. Ob es bloß die allgemeine Meinung der Menschen war, ein dummes abergläubisches Geschwätz, oder ein mit Absicht verbreitetes Gerücht, – das blieb unbekannt. Aber einige Fälle, die sich in kurzer Zeit vor den Augen aller abspielten, waren allen gegenwärtig und verblüffend.
»Unter den damaligen Aristokraten fiel besonders ein Jüngling aus bester Familie auf, der sich schon in jungen Jahren im Staatsdienste ausgezeichnet hatte, ein leidenschaftlicher Verehrer alles Wahren und Erhabenen, ein Eiferer für alles, was die Kunst und der Geist des Menschen gezeugt haben, ein künftiger Mäzen. Er wurde bald auch von der Kaiserin nach Verdienst ausgezeichnet, die ihn mit einem wichtigen Posten betraute, der durchaus seinen eigenen Anforderungen entsprach, – einem Posten, in dem er für die Wissenschaften und für alles Gute viel tun konnte. Der junge Würdenträger umgab sich mit Künstlern, Dichtern und Gelehrten. Er wollte allen Arbeit geben, alle fördern. Er unternahm auf eigene Kosten eine Menge nützlicher Veröffentlichungen, vergab eine Menge von Aufträgen, schrieb verschiedene Preise aus, verausgabte für diese Zwecke einen Haufen von Geld und geriet schließlich in Schwierigkeiten. Von großmütigem Streben erfüllt, wollte er sein Werk jedoch nicht aufgeben und suchte überall nach Darlehen; schließlich wandte er sich an den uns bekannten Wucherer. Nachdem er von ihm ein bedeutendes Darlehen erhalten, veränderte sich dieser junge Mensch in kürzester Zeit; er wurde zum Unterdrücker und Verfolger aller aufstrebenden Geister und Talente. In allen Werken sah er nur die Schattenseiten und mißdeutete jedes Wort. Unglücklicherweise brach gerade die französische Revolution aus. Das diente ihm als Vorwand zu allerlei Gemeinheiten. Er fing an, in allen Dingen eine revolutionäre Gesinnung zu sehen und überall Anspielungen zu wittern. Er wurde so argwöhnisch, daß er zuletzt sich selbst verdächtigte; er schenkte jeder
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