Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
gar kein Vergnügen an den großen abgenagten Knochen finde, die unser Polkan in der Küche frißt. Knochen sind nur gut vom Wild und auch das nur, wenn noch niemand das Mark aus ihnen herausgesogen hat. Es ist sehr gut, mehrere Saucen durcheinanderzumischen, doch nur solche ohne Kapern und ohne Grünzeug; aber ich kenne nichts Schlimmeres als die Angewohnheit, den Hunden aus Brot geknetete Kügelchen zu geben. Da beginnt irgendein Herr, der bei Tische sitzt und allerlei Zeug in seinen Händen gehalten hat, mit diesen selben Händen Brot zu kneten; dann ruft er dich heran und schiebt dir so ein Kügelchen ins Maul. Es nicht annehmen wäre unhöflich, – so frißt man es, obgleich mit Ekel, aber man frißt es doch …«
Weiß der Teufel, was das ist! So ein Unsinn! Als ob es keinen besseren Gegenstand gäbe, über den man schreiben könnte. Schauen wir mal auf der nächsten Seite nach, vielleicht steht dort etwas Vernünftigeres.
»… Ich will dich sehr gerne über alle Ereignisse unterrichten, die sich bei uns abspielen. Ich habe dir schon einiges über den wichtigsten Herrn erzählt, den Sophie Papa nennt. Er ist ein sehr sonderbarer Mensch …«
Aha, da ist es endlich! Ja, ich habe es gewußt: sie haben einen politischen Blick für alle Dinge. Sehen wir mal nach, was da über den Papa steht.
»… ein sehr sonderbarer Mensch. Er schweigt meistens und redet nur sehr selten. Aber vor einer Woche sprach er fortwährend mit sich selbst: ›Werde ich ihn kriegen oder werde ich ihn nicht kriegen?‹ Oder er nimmt in die eine Hand ein Stück Papier, ballt die andere leer zusammen und fragt: ›Werde ich ihn kriegen oder werde ich ihn nicht kriegen?‹ Einmal wandte er sich auch an mich mit der Frage: ›Wie glaubst du, Maggie, werde ich ihn kriegen oder nicht kriegen?‹ Ich konnte absolut nichts verstehen! Ich beschnüffelte nur seinen Stiefel und ging fort. Später, ma chère , nach einer Woche kam der Papa hocherfreut heim. Den ganzen Vormittag besuchten ihn Herren in Galauniformen und gratulierten ihm zu etwas. Bei Tisch war er so aufgeräumt, wie ich ihn noch nie gesehen habe, und erzählte immer Witze. Nach Tisch hob er mich aber zu seinem Hals und sagte: ›Schau mal, Maggie, was ist denn das?‹ Ich sah nur ein Bändchen. Ich beschnüffelte es, konnte aber gar keinen Duft wahrnehmen; schließlich leckte ich vorsichtig daran: es schmeckte etwas salzig.«
Hm! Dieses Hundevieh erlaubt sich, scheint mir, etwas zu viel … daß es nur keine Schläge kriegt! Er ist also ehrgeizig! Das muß ich mir merken.
»… Leb wohl, ma chère ! Ich muß laufen usw. usw. … Morgen schreibe ich den Brief fertig. – Nun, guten Tag! Ich bin wieder mit dir. Heute war mein Fräulein Sophie …«
Ah! Sehen wir mal, was mit Sophie los war. Diese Gemeinheit! Nichts, gar nichts … fahren wir fort.
»… war mein Fräulein Sophie in außerordentlicher Aufregung. Sie rüstete sich zu einem Ball, und ich freute mich sehr, daß ich dir in ihrer Abwesenheit schreiben kann. Meine Sophie ist immer sehr froh, wenn sie auf einen Ball gehen kann, obwohl sie sich beim Ankleiden fast immer ärgert. Ich kann nicht verstehen, warum sich die Menschen ankleiden. Warum laufen sie nicht einfach so herum wie z.B. wir? So ist es so gut und bequem. Ich verstehe auch nicht, was das für ein Vergnügen ist, auf einen Ball zu gehen, ma chère . Sophie kommt von einem Ball immer erst gegen sechs Uhr früh heim, und ich erkenne fast immer an ihrem blassen, elenden Aussehen, daß man der Ärmsten nichts zu essen gegeben hat. Ich muß gestehen, ich könnte so nicht leben. Wenn ich keine Sauce mit Rebhuhn oder keinen gebratenen Hühnerflügel bekäme, so … so weiß ich wirklich nicht, was mit mir geschähe. Auch Sauce mit Grütze schmeckt nicht schlecht; aber gelbe oder weiße Rüben oder Artischocken werden mir niemals gefallen.«
Ein auffallend ungleichmäßiger Stil! Man sieht gleich, daß es kein Mensch geschrieben hat: er fängt an, wie es sich gehört, und schließt ganz hündisch. Sehen wir uns noch dieses Brieflein an. Es ist etwas lang. Hm! Es steht auch kein Datum dabei.
»Ach, Liebste, wie deutlich läßt sich das Nahen des Frühlings fühlen. Mein Herz klopft so, als erwarte es jemand. In meinen Ohren ist ein ewiges Rauschen, so daß ich oft minutenlang mit erhobenem Beinchen lauschend an der Tür stehe. Ich will dir eröffnen, daß ich viele Verehrer habe. Oft sitze ich auf der Fensterbank und betrachte sie. Ach, wenn du wüßtest, was
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