Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Hat doch dieser Mensch mir ewigen Haß geschworen, und so schadet er mir auf Schritt und Tritt. Sehen wir uns indessen noch einen Brief an. Vielleicht klärt sich dann die Sache von selbst.
» Ma chère Fidèle, entschuldige, daß ich so lange nicht geschrieben habe. Ich war wie in einem Rausch. Wie richtig hat doch ein Dichter gesagt, die Liebe sei ein zweites Leben. Außerdem gibt es bei uns im Hause große Veränderungen. Der Kammerjunker sitzt jetzt bei uns jeden Tag. Sophie ist wahnsinnig in ihn verliebt. Papa ist sehr vergnügt. Ich hörte sogar von unserem Grigorij, der den Boden kehrt und fast immer mit sich selbst spricht, daß die Hochzeit bald stattfinden werde, denn der Papa wolle Sophie durchaus mit einem General oder einem Kammerjunker oder einem Oberst verheiratet sehen …«
Hol’s der Teufel! Ich kann nicht weiter lesen … Immer ist’s ein Kammerjunker oder ein General. Alles Beste, was es auf der Welt gibt, fällt immer den Kammerjunkern oder den Generälen zu. Hol’s der Teufel! Wie gerne möchte auch ich General werden, doch nicht um ihre Hand usw. zu erlangen, – nein, ich möchte nur deshalb General werden, um zu sehen, wie sie vor mir scharwenzeln und alle diese höfischen Kunststücke und Manieren zeigen werden, und um ihnen dann zu sagen, daß ich auf sie beide spucke. Hol’s der Teufel, es ist ärgerlich! Ich habe die Briefe dieses dummen Hundes in Stücke gerissen.
3. Dezember.
Es kann nicht sein, es ist erlogen! Es wird nie zu einer Hochzeit kommen! Was ist denn dabei, daß er Kammerjunker ist? Das ist ja doch nur ein Titel und keine sichtbare Sache, die man in die Hand nehmen könnte. Weil er Kammerjunker ist, hat er doch kein drittes Auge auf der Stirn. Seine Nase ist doch auch nicht aus Gold gemacht, sondern genau so wie die meine und wie die eines jeden Menschen; er riecht doch und ißt nicht mit ihr, er niest mit ihr und hustet nicht. Ich wollte schon einigemal dahinter kommen, worauf alle diese Unterschiede beruhen. Warum bin ich Titularrat und woraus folgt, daß ich Titularrat bin? Vielleicht bin ich gar kein Titularrat? Vielleicht bin ich ein Graf oder ein General und sehe nur wie ein Titularrat aus. Vielleicht weiß ich selbst noch nicht, wer ich bin. Es gibt doch so viele Beispiele in der Weltgeschichte: ein ganz einfacher Mensch, nicht einmal ein Adliger sondern ein Kleinbürger oder sogar Bauer entpuppt sich plötzlich als hoher Würdenträger als ein Baron oder wie heißt es noch … Wenn aus einem Bauern so etwas werden kann, was kann dann alles aus einem Edelmann werden? Da komme ich z.B. in Generalsuniform zu unserm Chef: auf der rechten Schulter habe ich eine Epaulette, auf der linken Schulter eine Epaulette, ein blaues Band über die Achsel, – nun, was wird dann meine Schöne sagen? Was wird ihr Papa, unser Direktor sagen? Oh, er ist doch sehr ehrgeizig! Er ist ein Freimaurer, ganz gewiß ein Freimaurer; er tut zwar so, als wäre er dies und jenes, aber ich habe es gleich bemerkt, daß er ein Freimaurer ist: wenn er jemand die Hand reicht, so streckt er nur zwei Finger aus. Kann ich denn nicht jetzt gleich in diesem Augenblick zum General-Gouverneur, oder zum Intendanten oder zu etwas Ähnlichem ernannt werden? Ich möchte gerne wissen, warum ich Titularrat bin? Warum gerade Titularrat?
5. Dezember.
Ich las heute den ganzen Vormittag Zeitungen. Merkwürdige Dinge gehen in Spanien vor. Ich kann mich in ihnen so gar nicht ordentlich zurechtfinden. Man schreibt, der Thron sei erledigt, und die Stände hätten wegen der Wahl eines Thronfolgers Schwierigkeiten; darum gäbe es Aufstände. Dies kommt mir außerordentlich seltsam vor. Wie kann bloß der Thron erledigt sein? Man sagt, irgendeine Donna werde den Thron besteigen müssen. Aber eine Donna kann den Thron nicht besteigen, es ist ganz unmöglich. Auf dem Throne muß doch ein König sitzen. »Aber es gibt keinen König,« sagen die Leute. Es kann doch nicht sein, daß es keinen König gibt. Ein Staat kann nicht ohne einen König bestehen. Es gibt wohl einen König, er hält sich aber wohl irgendwo unerkannt auf. Vielleicht befindet er sich sogar dort an Ort und Stelle, aber irgendwelche Familiengründe oder Befürchtungen seitens der Nachbarstaaten wie Frankreich und der anderen zwingen ihn, sich verborgen zu halten, oder es gibt irgendwelche andere Ursachen.
8. Dezember.
Ich war schon bereit, ins Departement zu gehen, aber verschiedene Gründe und Erwägungen hielten mich davon ab. Die spanischen
Weitere Kostenlose Bücher