Pfefferbeißer - Harz Krimi
Siemensviertel ab. Heute hatte sie nicht viel erreicht. Der Anwalt des
Verdächtigen, der eine alte Frau wegen dreihundertfünfzig Euro umgebracht haben
sollte, dem sie die Tat aber nicht eindeutig nachweisen konnten, hatte
erfolgreich verhindert, dass sein Mandant auspackte. Und bei dem Skelettfund an
der B241 ließen die Untersuchungsergebnisse auf sich warten. Was allerdings
nicht verwunderte, denn die Techniker hatten einen unüberschaubaren Haufen von
Einzelspuren zu prüfen, während die Gerichtsmedizin im Gegenteil verdammt wenig
hatte, was sie untersuchen konnte.
Niebuhrs Computer hatte die Namen einer Handvoll vermisster Männer
ausgespuckt, darunter den eines Asylanten Mitte dreißig, der schon seit zwei
Jahren vermisst wurde, den eines Rentners aus Goslar, der um elf Uhr abends nur
frische Luft schnappen wollte, und den eines Touristen aus Hamburg, der während
einer Wanderung am Polsterberg seiner Gruppe abhandenkam und trotz Einsatz von
Suchhunden nie aufgespürt werden konnte. Aber ohne Rahmendaten nützten die
Informationen nur wenig.
Sina kramte in ihrer Jacke nach dem Schlüssel, bevor sie wie jeden
Abend einen Blick in den Postkasten warf. Darauf stand jetzt:
»Kramer / Köglsperger« – eine der Kleinigkeiten, die sich geändert hatten,
seit Chao, Sohn einer Chinesin und eines waschechten Bayern, bei ihr eingezogen
war.
Sie fragte sich, was er jetzt wohl gerade machte. In letzter Zeit
fragte sie sich das mehrmals am Tag. Obwohl sie es ziemlich krank fand, konnte
sie es nicht abstellen. War das Liebe, oder war es Angst, er könnte etwas tun,
was sie zutiefst verletzte? Zum Beispiel das, was Bernie, ihr Ex, getan hatte,
wenn sie glaubte, er machte Überstunden.
Wahrscheinlich war es der große Altersunterschied – er achtundzwanzig
und sie schließlich schon sechsundvierzig –, der sie immer wieder
verunsicherte. Auch wenn sie nicht die Absicht hatte, die nächsten Jahre mit
der Angst zu leben, Chao könnte sie von heute auf morgen nicht mehr begehren,
nur weil sie fast zwanzig Jahre älter war als er. Es gab auch keinen Grund
anzunehmen, dass Chao nicht zufrieden war, denn sie hatten reichlich Sex, und
er beteuerte immer, wie unwiderstehlich er ihre Speckröllchen fand.
Sie schloss die Haustür auf.
Es roch jetzt anders im Haus. Chao hatte neben seinen Büchern den
Restbestand an Tee, den er nach der Pleite seines Ladens »Tee aus aller Welt«
im Oberharz nicht mehr losgeworden war, in Sinas Bügel- und Wäschezimmer
gelagert, und der Duft der aromatischen Blätter durchdrang allmählich das ganze
Haus.
Bevor Chao seinen heißgeliebten Laden schließen musste, hatte er
noch einen Räumungsverkauf mit Ramschpreisen veranstaltet. Und auf einmal waren
die Leute gekommen. Sina fragte sich, woher und warum sie sich so plötzlich für
Tee interessierten, wo sie sich doch vorher nie hatten blicken lassen. Wie die
Geier hatten sie kilometerweit gewittert, dass es etwas abzustauben gab. Und
natürlich war es ihnen immer noch nicht billig genug, und sie versuchten, die
ohnehin lächerlichen Preise noch weiter herunterzuhandeln. Dabei brauchte Chao
jeden Cent, schließlich ging es um die Begleichung von Lieferantenrechnungen
und anderen Außenständen. Ein demütigendes Spiel.
»Ich habe verloren und muss die Niederlage ertragen.«
Sina hatte Chao ehrlich bewundert. Er hatte es sich nicht anmerken
lassen, dass er litt. Am Ende war es noch gut ausgegangen. Er konnte mit den
Gläubigern einen Deal machen und das Schlimmste abwenden.
»Chao?«, rief Sina, als sie den Flur betrat. Er antwortete nicht,
aber in der Küche brodelte es hörbar in den Töpfen. Sie war beruhigt, er war zu
Hause.
Seit Chao hier lebte und noch keinen Job gefunden hatte, hatte er
freiwillig die Hausarbeit übernommen und war darin perfekt. Er kochte, putzte,
wusch nicht nur für Sina und sich, sondern auch für Torsten, Sinas
siebzehnjährigen Sohn aus der Ehe mit Bernie. Machte sogar seine Wäsche, was
Torsten allerdings in keiner Weise motivierte, selbst auch mal Hand im Haushalt
anzulegen. Ihr Herr Sohn lernte lieber hingebungsvoll mit weiblichen
Mitschülern für die Prüfungen. Wie hingebungsvoll, konnte man manchmal bis unten
hören.
»Wo bist du?«, flötete Sina.
Chao saß im Schneidersitz mit geschlossenen Augen auf der Couch im
Wohnzimmer, die Arme verschränkt, der Oberkörper frei. Wie Buddha auf dem
Thron, nur viel schöner. Sie setzte sich neben ihn.
»Wie war dein Tag?«, fragte er, ohne die Augen
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