Phantom der Lüste
Herbstgewand zu sehen. Jean atmete auf, froh, sein kleines Geheimnis nicht versehentlich offenbart zu haben, und öffnete schließlich dem Diener, der vor Aufregung rot angelaufen war.
„Ihr seid zu spät. Wie immer Monsieur.“
Die Gemäuer von l’Aurore hatte sich kaum verändert, seit Francoise de Felou das letzte Mal hier war. Dieselben Teppiche an den Wänden, dieselben Kronleuchter, die eindrucksvoll über ihr aufragten, und auch die von ihr stets bewunderten Landschaftsbilder von Carracci im Empfangssaal hingen noch immer an ihrem Platz. Es fühlte sich an, als wäre sie erst vor kurzem hier gewesen, dabei lag ihr letzter Besuch elf Jahre zurück. Wie schnell doch die Zeit vergangen war. Und wie schön es war, in diese vertraute Umgebung zurückzukehren.
Auch der Comte de Gavaine und seine Gemahlin hatten sich kaum verändert, von einigen Lachfalten mehr einmal abgesehen.
„Willkommen meine lieben Freunde“, sagte der Comte und begrüßte ihre Eltern herzlich, ehe er sich ihr zuwandte. „Ihr habt Euch prächtig entwickelt, meine liebe Francoise. Als ich Euch zuletzt sah wart Ihr nur so groß.“ Mit der Hand deutete er auf die Höhe seines wohlbeleibten Bauches. „Ein Mädchen, das immer Flausen im Kopf hatte.“
Francoise lachte. Wie recht er hatte. Sie hatte es vorgezogen, Frösche oder Kröten zu jagen, anstatt mit Puppen zu spielen. Aber nun stand sie als Frau vor ihm. Und es schien fast, als wäre sie die Einzige, die die Zeit verändert hatte.
„Und wie Ihr strahlt, die Sonne würde neben Euch verblassen.“
Francoise errötete bei diesen schmeichelhaften Worten, wenngleich es nicht selten war, dass ihr Komplimente zu Ohren kamen. Aus einem hässlichen Entlein war ein stolzer Schwan geworden.
Ein Diener reichte den Gästen edlen Wein zur Begrüßung und man nahm einen Kelch vom Tablett. Ja, es war fast wie früher. Nur dass sie damals keinen Wein hatte trinken dürfen. Vorsichtig nippte sie. Köstlich. Genau das Richtige, um ihre Aufregung hinunterzuspülen.
Da endlich ging die Flügeltür auf und er kam herein. Francoise erkannte ihn sofort wieder. Die saphirblauen Augen und die goldenen Haare waren unverkennbar. Und als er sie erblickte, wurde sein Lächeln noch größer. Eilig kam er auf sie zu und ergriff ihre Hand, hauchte einen kleinen Kuss auf diese.
„Verzeiht meine Verspätung, liebste Francoise. Und lasst mich Euch sagen … wie schön Ihr seid.“
Seine Worte bedeuteten ihr viel. Sie hatte sich oft gefragt, wie er wohl inzwischen aussah. Ihn nun wiederzusehen, ließ ihr Herz höher schlagen. Jean war attraktiv, glich einem Engel. Verschwunden war der kleine Junge von damals. Nun stand ein junger Mann vor ihr.
„Wie schön, dass mein Herr Sohn auch zu uns gefunden hat, dann können wir ja in den Salon gehen“, schlug Susette de Gavaine vor und warf ihrem Sohn einen missbilligenden Blick zu, den Jean aber gar nicht mitbekam.
Er schien nur Augen für sie zu haben. Und das gefiel Francoise. „Es ist nicht schlimm, dass Ihr Euch verspätet habt, Jean. Ich bin sicher, Ihr hattet gute Gründe“, sagte sie.
Er reichte ihr galant den Arm und die kleine Gesellschaft wechselte in den Salon, wo sich gepolstertes Mobiliar und ein Flügel befanden.
„Spiel uns doch etwas vor, Jean“, bat Susette. „Er kann so wunderbar spielen.“ Sie klatschte in rascher Folge in die behandschuhten Hände, als wollte sie ihm den Takt vorgeben.
„Entschuldigt mich, Francoise“, flüsterte Jean und ließ sie los, um sich an das Klavier zu setzen.
Susette de Gavaine hatte nicht übertrieben. Er spielte wahrlich wie ein Meister, verzauberte sie mit den schönsten Melodien. Zweifelsohne hatte er eine Begabung. Sie selbst hatte sich an der Harfe versucht, aber gegen sein Talent verblasste das ihre. Und während sie seiner Musik lauschte, fing sie allmählich an, sich zu entspannen.
Als sie erfahren hatte, warum ihre Eltern mit ihr nach l’Aurore reisten, hatte sie einen großen Schreck bekommen und schon einen Tag später war sie urplötzlich vom Fieber befallen worden, sodass sie ihre Reise um eine Woche verschieben mussten. Nun aber, nachdem sie ihn gesehen hatte, wusste sie, dass es richtig war, was die Eltern für sie geplant hatten. Jean war ein hinreißender Mann, und sie fühlte gleich wieder dieselbe Vertrautheit wie damals, als sie noch unschuldige Kinder gewesen waren.
Nachdem Jean das Stück beendet hatte, verbeugte er sich und alle spendeten Applaus. Francoise erhob sich, um ihm
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