Phantom des Alexander Wolf
Generation« der Zwischenkriegszeit nannte sie später der Kritiker Warschawski.
Diese »Jungen« trafen sich in den billigen Cafés des Montparnasse und lasen sich gegenseitig ihre Werke vor. Natürlich kam an Proust damals niemand vorbei, aber in dieser Generation drehten sich die Gespräche auch um Joyce und Céline, um D.H. Lawrence oder Henry Miller. Von den russischen Prosaikern jener Zeit brachte es nur Nina Berberowa später zu einiger Berühmtheit; andere wie der – in einem deutschen KZ ermordete – Juri Felsen sind bis heute vergessen geblieben. Gleiches gilt für die unter den russischen Montparnassiens besonders zahlreichen Lyriker; einen von ihnen, den durch seine Herkunft mit der Schweiz verbundenen Anatol von Steiger, hat Felix Philipp Ingold kürzlich übersetzt und ediert. Als 1935 Boris Poplawski, der exzentrische Visionär der Gruppe, erst 33jährig an einer Überdosis Heroin starb, verfasste Gaito Gasdanow einen Nachruf, der deutlich macht, wie düster die Stimmung unter der Dichter-Bohème war: Über Poplawski zu schreiben sei »auch deshalb schwierig, weil der Gedanke an seinen Tod an unser eigenes Schicksal erinnert, an uns, seine Kameraden und Zunftbrüder, all die so gar nicht zeitgenössischen Menschen, die unnütze Gedichte und Romane schreiben und es weder verstehen, sich kommerziell zu betätigen, noch ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen – die Assoziation der Kontemplativen und Phantasten, für die fast kein Raum mehr geblieben ist auf Erden.«
Der Zweite Weltkrieg versetzte dem russischen Paris endgültig den Todesstoß. Wer die Gefahr rechtzeitig erkannt hatte und es sich leisten konnte, floh weiter nach Amerika. Viele der Zurückgebliebenen kamen um oder versanken nun gänzlich in Armut und Not. Die »unbeachtete« junge Generation war endgültig zur »lost generation« geworden.
Heute hat sich die russische Sicht auf Gasdanow verändert. Nun werden auch Parallelen gesehen wie die zwischen Gasdanow und Albert Camus. Eine Spur, die keinesfalls abwegig ist, und nicht nur, weil die Fremdheit des Exils eine existentialistische Weltsicht befördert und das Grunderlebnis des Absurden dieser russischen Generation vertraut war. Zu der Zeit, als Gasdanow an der Sorbonne studierte, lehrte dort auch der Existenzphilosoph Lew Schestow; ihn wiederum zitiert, gegen ihn polemisiert Camus im Mythos von Sisyphos . Und für beide Autoren, Gasdanow wie den um zehn Jahre jüngeren Camus, ist Dostojewski mit seinen »Dämonen« ein wichtiger Bezugspunkt.
Von den Schriftstellern des russischen Paris ist Gasdanow gewiss der »französischste«. Davon zeugt seine Ästhetik, ebenso seine Philosophie. Im Grunde ist es Gasdanow ähnlich wie Nabokov gelungen, sich aus der Enge der Exilliteratur zu befreien, aus dem russischen Paris hinauszutreten in die europäische Literaturlandschaft. Da er jedoch nicht die Sprache wechselte, wurde dieser Schritt lange Zeit nicht wahrgenommen. Gasdanow leugnet seine Herkunft nicht, er schreibt im Bewusstsein der Tradition von Puschkin bis Tolstoi, auch er kennt die rastlose russische Suche nach dem Sinn des Lebens, spürt den feinsten Verästelungen in der menschlichen Psyche nach. Zugleich ist er von den Traumatisierungen des 20. Jahrhunderts gezeichnet. Seine Welt ist bereits aus den Fugen, seine Menschen sind die einsamen Individuen der Moderne.
Nun zum Phantom des Alexander Wolf . An dem Roman hatte Gasdanow noch während des Krieges zu arbeiten begonnen. Nach seinem Erscheinen interessierten sich ausländische Verlage für das Buch, 1950 kam eine englische Übersetzung heraus, es folgten eine französische, italienische und spanische, das amerikanische Fernsehen verfilmte den Roman. Für deutsche Leser blieb Gasdanow ein Phantom; eine seinerzeit angekündigte Übersetzung wurde, aus unbekannten Gründen, nie veröffentlicht. Bisher sind lediglich zwei Erzählungen auf Deutsch erschienen, »Der nächtliche Reisegefährte« in der Anthologie Russische Erzähler des XX.Jahrhunderts (1948) und »Der Irrtum« in der gleichnamigen Sammlung russischer Kurzprosa, übersetzt von Christiane Körner (2005).
Das Phantom des Alexander Wolf spielt, wie sich aus dem Text erschließen lässt, 1936 in Paris, dabei ist die Handlung klar in der Pariser Topographie lokalisiert. Allerdings blendet Gasdanow rigoros das Zeitgeschehen aus; das fällt besonders ins Auge, wenn man sich den realitätsgesättigten, nur wenig später und ebenfalls im Emigrantenmilieu spielenden Arc
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