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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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V on allen meinen Erinnerungen, von all den unzähligen Empfindungen meines Lebens war die bedrückendste die Erinnerung an den einzigen Mord, den ich begangen habe. Seit dem Moment, als es geschehen war, erinnere ich mich an keinen Tag, da ich nicht Bedauern empfunden hätte darüber. Niemals hätte mir irgendeine Strafe gedroht, denn es passierte unter ganz ungewöhnlichen Umständen, auch war klar, dass ich nicht anders hatte handeln können. Niemand außer mir selbst wusste im übrigen davon. Es war dies eine der zahllosen Episoden des Bürgerkriegs; im Zuge der damaligen Ereignisse mochte sie als unbedeutende Einzelheit anzusehen sein, zumal im Verlauf der wenigen Minuten und Sekunden, die der Episode vorausgingen, ihr Ausgang nur uns beide interessierte – mich und noch einen, mir unbekannten Menschen. Dann blieb ich allein zurück. Niemand sonst war beteiligt.
    Ich könnte nicht genau beschreiben, was davor gewesen war, weil alles in den vagen und trügerischen Konturen ablief, wie sie beinahe für jedes Gefecht eines jeglichen Krieges typisch sind, in dem die Beteiligten sich noch am wenigsten vorstellen können, was in Wirklichkeit geschieht. Es war im Sommer, im Süden Russlands; schon bald vier Tage und Nächte dauerten die ununterbrochenen und ungeordneten Truppenbewegungen, begleitet von Schießereien und Gefechten an wechselnden Orten. Ich hatte völlig jede Zeitvorstellung verloren, ich könnte nicht einmal sagen, wo ich mich damals genau befand. Ich erinnere mich nur an die Empfindungen, die ich hatte und die sich auch unter anderen Umständen hätten einstellen können – Hunger, Durst und zermürbende Müdigkeit; davor hatte ich zweieinhalb Nächte nicht geschlafen. Es herrschte Gluthitze, in der Luft schwankte abflauender Rauchgeruch; vor einer Stunde hatten wir einen Wald verlassen, dessen eine Seite brannte, und wo das Sonnenlicht nicht hingelangte, war langsam ein riesiger strohgelber Schatten vorwärtsgekrochen. Ich war todmüde, wollte nur schlafen, es erschien mir damals als das allergrößte überhaupt vorstellbare Glück, einfach stehenzubleiben, ins versengte Gras zu fallen und augenblicklich einzuschlafen, einfach alles rundum zu vergessen. Aber gerade das durfte ich auf keinen Fall, und so schritt ich weiter durch die heiße und schläfrige Trübe, schluckte bisweilen Speichel und rieb mir von Zeit zu Zeit die vor Schlaflosigkeit und Gluthitze entzündeten Augen. Ich erinnere mich, dass ich, als wir durch ein kleines Wäldchen kamen, mich für einen Augenblick, wie mir schien, an einen Baum lehnte und im Stehen einschlief, zum Gefechtslärm, woran ich längst schon gewöhnt war. Als ich die Augen aufschlug, war niemand ringsum. Ich durchquerte das Wäldchen und ging den Weg weiter, in die Richtung, in die, wie ich vermutete, meine Kameraden fortgezogen sein mussten. Gleich danach überholte mich ein Kosak auf einem schnellen braunen Ross, er winkte mir und schrie etwas Unverständliches. Einige Zeit später hatte ich das Glück, eine dürre schwarze Stute zu finden, deren Besitzer offenbar umgekommen war. Ausgerüstet mit Reitzaum und Kosakensattel, rupfte sie Gras und bewedelte sich unablässig mit ihrem langen und schütteren Schwanz. Als ich aufsaß, fiel sie sogleich in ziemlich flotten Galopp.
    Ich ritt den verlassenen, sich schlängelnden Weg entlang; bisweilen traf ich auf kleinere Wäldchen, die einige Wegkrümmungen vor meinem Blick verbargen. Die Sonne stand hoch, die Luft dröhnte beinahe vor Hitze. Trotz meines schnellen Ritts bewahrte ich die trügerische Erinnerung, alles sei langsam vonstattengegangen. Nach wie vor war ich todmüde, der Wunsch zu schlafen füllte meinen Körper und mein Bewusstsein aus, darum erschien mir alles zermürbend und langwierig, obwohl es in Wirklichkeit natürlich nicht so gewesen sein konnte. Geschossen wurde nicht mehr, es war still; ich sah keinen Menschen, weder hinter noch vor mir. Doch an einer Biegung des Weges, der an dieser Stelle fast einen rechten Winkel bildete, stürzte aus vollem Lauf mein Pferd, schwer und schlagartig. Mit ihm zusammen stürzte ich in ein weiches und dunkles Nichts, denn ich hatte die Augen geschlossen, konnte aber noch den Fuß aus dem Steigbügel ziehen und kam bei dem Sturz kaum zu Schaden. Eine Kugel war dem Pferd ins rechte Ohr gedrungen und hatte den Kopf durchschlagen. Wieder auf den Beinen, drehte ich mich um und sah, dass nicht weit hinter mir in schwerem und, wie mir schien, langsamem Galopp ein Reiter

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