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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Männern, die ich auf dem Tisch gehabt hatte, betrug bis zu dreiundvierzig Komma drei Grad. Waddells rechte Wade war heiß unter meiner Hand, der Muskel total verkrampft.
    »Eine Verletzung am Zungenrand«, meldete sich Susan.
    »Hat er sich vielleicht auf die Zunge gebissen und deshalb geblutet?« fragte Marino.
    Nach einem prüfenden Blick verneinte ich das.
    »Wie gesagt, sie machen Theater wegen des Bluts.«
    Ich unterbrach meine Arbeit, als mir etwas einfiel: »Sie waren als Zeuge dabei, nicht wahr?«
    »Ja, ich hatte Ihnen doch gesagt, daß ich mich gemeldet habe.«
    Alle Augen richteten sich auf ihn.
    »Da draußen braut sich was zusammen«, sagte er. »Es ist wohl besser, wenn niemand den Laden hier allein verläßt.«
    »Was braut sich zusammen?« fragte Susan ängstlich.
    »Schon heute früh versammelten sich religiöse Spinner vor dem Spring-Street-Gefängnis. Irgendwie erfuhren sie dann von der Bluterei, und als die Ambulanz losfuhr, setzten sie sich in geschlossener Formation hierher in Bewegung.«
    »Haben Sie gesehen, wie die Blutung anfing?« wandte Fielding sich an ihn.
    »Das habe ich. Er kriegte zweimal Saft. Beim erstenmal gab er ein lautes Zischen von sich – wie ein Heizkörper, aus dem Dampf entweicht –, und dann lief Blut unter seiner Maske raus. Ich habe gehört, daß der Stuhl nicht richtig funktioniert haben soll.«
    Susan setzte die Stryker-Säge in Gang, und niemand wollte es mit dem Lärm der Maschine aufnehmen, deren Zähne sich durch die Schädeldecke fraßen. Ich setzte die Untersuchung der inneren Organe fort. Das Herz einschließlich der Koronargefäße war in hervorragendem Zustand. Erst als die Säge verstummte, konnte ich wieder diktieren.
    »Haben Sie das Gewicht?« fragte Fielding.
    »Das Herz wiegt vierhundertsechsundachtzig Gramm, und der linke obere Lappen ist an einer Stelle mit dem Aortenbogen verwachsen.« Nun legte ich den Magen auf das Schneidbrett. »Er ist fast röhrenförmig.«
    »Was?« Fielding trat näher heran. »Das ist ja eigenartig. Ein Riese wie der braucht doch mindestens viertausend Kalorien am Tag.«
    »Die hat er aber nicht bekommen«, sagte ich. »Zumindest nicht kurz vor der Hinrichtung. Der Magen ist vollkommen leer und sauber.«
    »Sie meinen, er hat seine Henkersmahlzeit nicht gegessen?« f ragte Marino.
    »Offenbar nicht.«
    »Ist Ihnen das schon öfter untergekommen?«
    »Nein, höchst selten.«
    Um ein Uhr waren wir fertig und folgten den Leuten vom Beerdigungsinstitut in den Hof, wo der Leichenwagen wartete. Rote und blaue Lichter blitzten in der Dunkelheit, Funksprüche schwirrten blechern durch die feuchtkalte Luft, Motoren brummten, und hinter dem Maschendrahtzaun, der den Parkplatz umgab, leuchtete ein Flammenring: Eine Mauer aus Männern, Frauen und Kindern stand dort, und der flackernde Schein ihrer Kerzen malte verzerrte Schatten auf ihre Gesichter. Die Angestellten des Beerdigungsinstituts schoben Waddell eiligst in den Leichenwagen und knallten die Hecktüren zu. Jemand gab ein Kommando, und dann hagelte es Kerzen. Sie verloschen im Flug und landeten mit einem hölzernen Geräusch auf dem Asphalt.
    »Verdammte Idioten!« rief Marino.
    Begleitet vom Aufflackern der Blitzlichter verließ der Leichenwagen den Hof. Ich sah einen Aufnahmewagen von Channel 8 am Straßenrand stehen. Uniformierte Beamte traten an den Zaun und forderten die Demonstranten auf, sich zu entfernen.
    »Wir wollen keinen Ärger hier«, sagte ein Officer. »Falls ihr also die Nacht nicht hinter Gittern verbringen wollt…«
    »Metzger!« kreischte eine Frau. Andere nahmen den Schlachtruf auf, Hände griffen in den Zaun und rüttelten an ihm. Marino begleitete mich zu meinem Wagen. Die einzelnen Schreie ordneten sich zu einem rhythmischen Sprechgesang: »Metzger! Metzger! Metzger!«
    Ich zog den Autoschlüssel aus der Tasche und ließ ihn zweimal fallen, bevor ich endlich ins Schloß traf.
    »Ich fahre hinter Ihnen her«, sagte Marino.
    Obwohl ich die Heizung voll aufgedreht hatte, wurde mir nicht warm. Zweimal vergewisserte ich mich, daß Türen und Fenster geschlossen waren. Die Kälte, die ich spürte, hatte jedoch nichts mit der Temperatur zu tun.
    Wir tranken Scotch, weil ich keinen Bourbon mehr hatte.
    »Ich verstehe nicht, wie man dieses Zeug freiwillig trinken kann«, sagte Marino taktlos.
    »Schauen Sie doch nach – vielleicht finden Sie was anderes.«
    »Nein – ich steh’ das jetzt durch.«
    Ich wußte nicht recht, wie ich das Thema anschneiden sollte

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