Philosophische Temperamente
illustriert die Geburt der Modernität aus dem Geist einer Imaginations-Philosophie. Nach der Wiederentdeckung der Brunischen Lehren von den weltkonstituierenden Leistungen der »Phantasie« wird die träge Neigung der Ideenhistoriker, das neuzeitliche Denken ganz von Descartes her zu konstruieren, fragwürdiger denn je. Man muß auf das Universum Brunos, Shakespeares und Bacons zurückgehen, um die Schlüssel zu weithin unbekannten Schatzhäusern der beginnenden Modernität zu finden. Wie kaum ein Denker vor ihm hat sich Bruno in die Kosmodynamik der Gedächtnisse versenkt. Mit seinen Einsichten in die Natur und Funktion der memoria kann Giordano Bruno zum Zeitgenossen derer werden, die sich heute über das menschliche Gehirn beugen als wäre es der Hort der Welträtsel. Weil er den ars-Charakter von Erinnerung und Gedächtnis betonte, ist Bruno der erste »Kunst«-Philosoph der Neuzeit.
Es ist an der Zeit, die Asche über Brunos Manuskripten wegzublasen, um freizusetzen, was einen Denker, der ein Meister italienischer und lateinischer Prosa war, alleine ehrt: die leuchtende Buchstäblichkeit seiner wirklichen Gedanken.
DESCARTES
Es gibt wenige Epochen in der Geschichte des Denkens, die den Zeitgenossen so fremd geworden sind wie jenes 17. Jahrhundert, das von den Geschichtsbüchern als Gründerzeit der neuzeitlichen Philosophie dargestellt zu werden pflegt. In der Tat ist es für die Spätergeborenen und Späterdenkenden kaum noch möglich, sich in eine Zeit zu versetzen, in der Gestalten wie Francis Bacon, René Descartes und Thomas Hobbes noch Neue Philosophen waren. Geblendet von der Geschichtsmächtigkeit der Impulse, die sich mit dem Namen dieser Größen verbunden haben, will es uns kaum noch gelingen, mit unbefangenem Blick in die Epoche zurückzugehen, in der das, was man später das Projekt der Moderne zu nennen beliebte, noch kaum mehr war als ein animierter Briefwechsel zwischen einigen Dutzend Korrespondenten.
Die optischen Täuschungen der Historie lassen das, was anfangs nur eine anspruchsvolle Vorahnung von dem inneren Zusammenhang zwischen Macht und Methode war, als Aufbruch ins Zeitalter der technologischen Machtergreifung erscheinen. Zu den Merkwürdigkeiten jenes 17. Jahrhunderts gehört auch die halbmythische Qualität seiner eminenten Autoren; ihnen wurden ihre Versuche
als Grundlegungen und ihre Programme als Epocheneinschnitte angerechnet. Dieser mythologische Habitus wurde von den konservativen Feinden der Neuzeit bald eifrig übernommen, so daß der Name Descartes’ zum Symbol für die frivole Abweichung einer allzu selbstbewußten Menschheit von der gottgewollten Ordnung der Dinge werden konnte. Nicht umsonst hat die Restauration des 19. Jahrhunderts Descartes – dessen Werke seit 1663 auf dem Index der katholischen Kirche standen – zu den ferneren Vätern der Französischen Revolution rechnen wollen, als wären es von der Grundlegung des Denkens im Prinzip des Cogito bis zur Auflösung aller Dinge nur zwei oder drei Schritte. Descartes’ Welt freilich ist nicht die der bürgerlichen Revolution, sondern die der Konfessionskriege. Das Pathos, mit dem er in seinen Grundlegungsschriften die Unterscheidung von Gewißheiten und Wahrscheinlichkeiten betrieb, war auch gespeist vom Anschauungsunterricht, den der religiöse Bürgerkrieg den Zeitgenossen lieferte. Denn was war der dreißigjährige Krieg der Konfessionsparteien (der ganz in Descartes’ wache Lebenszeit fiel) anderes als der Kampf der bloßen Wahrscheinlichkeiten, die aus den theologischen Seminaren auf die Schlachtfelder gesprungen waren?
Gegen diese Waffendienste des Wahrscheinlichkeitsfanatismus setzte Descartes sein Bekenntnis zur absoluten Evidenz und zur sicheren und friedlichen Gangart seiner
Methode. Wo Methode und Evidenz die Oberhand gewonnen hatten, dort müßten – wie der Philosoph zu verstehen gab – bewaffneter Glaubenseifer und Positionsanmaßung das Feld räumen, und was nach dem Ende des Krieges der Ungenauigkeiten zurückbliebe, könnte idealiter nichts anderes sein als das friedliche Vorrücken aller wahrheitsliebenden Geister auf den sichergemachten Straßen regulierter und verbindender Vernunft; Descartes’ große Idee war es, das Denken in einen streitlosen Raum zu versetzen.
Es gibt in der Geschichte des Denkens wohl keinen zweiten Autor, bei dem das Wort Methode mit soviel Verheißungen beladen wurde wie bei Descartes. In den Obertönen des neuen Präzisionsgedankens klingen pazifistische
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