Philosophische Temperamente
Schwingungen deutlich vernehmbar mit; er steht für Selbstsicherheit und Solidarität, Großzügigkeit und Unternehmensgeist in einem. In seinem Begriff von Methode hat Descartes seine Absage an den dogmatischen Ballast der aristotelischen Universitäten allgemein bekannt gemacht. Elegant und antiautoritär wies die cartesische Reflexion die Ansprüche der Tradition und ihrer Professoren zurück: Wer die Kraft hat, neu zu beginnen, muß keine Dialoge mit den Toten mehr führen; wer die neue Seite aufschlägt, ist vom Gespräch mit der Geschichte fürs erste befreit. Bei solcher Gesinnung fand der neue Philosoph keinen Geschmack mehr an den Argumentationsturnieren
einer ohnmächtigen und selbstbezüglichen Sorbonnekultur, die längst den Zusammenhang mit den Künsten, den Werkstätten und den Kontoren verloren hatte. Mit dem Wort Methode stieß Descartes die Fenster zur Gegenwart auf, und es erwies sich, daß dies eine Zeit war, in der das erstarkte menschliche Können danach verlangte, auf eine neue logische und moralische Grundlage gestellt zu werden. Es war, als habe Descartes damit neben dem alten Blut- und Schwert-Adel und der jüngeren noblesse de robe einen eigenständigen Methoden-Adel geschaffen, der seine Mitglieder in allen Schichten rekrutierte, sofern seine Angehörigen den Eid auf Klarheit und Deutlichkeit zu leisten bereit waren. An dem anti-feudalen Charakter dieser Gruppe von neuen Könnenden bestand von Anfang an kein Zweifel. Auch wenn der philosophierende Edelmann Descartes nie einen Zweifel an seinem doppelten Adelsbewußtsein aufkommen ließ, dem ererbten und dem selbst geschaffenen, so erkannten doch die nachfolgenden Generationen bürgerlicher Intelligenz in ihm ihren natürlichen Verbündeten. Aus dem cartesischen Kompetenz-Adel entstand jene Klasse der vorurteilslos selbst denkenden Geister, die von der frühen Neuzeit an das kritische Ferment der europäischen Intelligenz gebildet haben. Noch heute beruft sich, nicht ganz ohne Grund, der Mythos vom rationalistischen Nationalcharakter der Franzosen auf die cartesianischen Privilegien der Deutlichkeit.
Das theoriegeschichtliche Ereignis Descartes bezeichnet eine radikale Währungsreform der Vernunft. In einer Epoche galoppierender Diskurs-Inflation – ausgelöst durch hemmungslose allegorische Mechanismen und Wucherungen der Theologensprachspiele – hat Descartes ein neues Wertkriterium für sinnvolle Reden geschaffen, aufgebaut auf dem Goldstandard der Evidenz. Die notwendige Knappheit dieses Werts ergibt sich aus der Bedingung, daß aus wahren Sätzen immer einerseits gute Gesinnungen, andererseits nützliche Maschinen folgen müssen. »Keinem nützen heißt soviel wie nichts wert sein«, wird der Verfasser des Discours de la méthode erklären.
Wenn der Name Descartes’ durch Epochen hindurch umstritten blieb, dann vor allem deswegen, weil er wie kaum ein anderer den Sieg der Ingenieure gegen die Theologen symbolisiert. Er hat einem Denken den Weg geebnet, das sich vorbehaltlos öffnet für die Epochenaufgabe: Maschinenbau. Die nicht-maschinenbauenden Formen der Intelligenz fühlen sich daher zu Recht durch die cartesischen Impulse entwertet oder desavouiert. Als Schöpfer des analytischen Mythos hat Descartes gleichsam die Metaphysik des Maschinenbaus geschaffen, indem er alles Seiende in einfache kleinste Teile zu zerlegen begann und die Regeln bekanntzumachen suchte, die deren Zusammensetzungen regieren. Indem er das Denken ganz auf das Hin und Her von Analysis und Synthesis verpflichtete, machte
er die Vernunft selbst ingenieursförmig und nahm die alte kontemplative Muße von ihr. Nun werden Gedanken zu verinnerlichten Formen von Arbeit, und das Leben des Geistes selbst wird auf den Weg gebracht zur Herstellung nützlicher Dinge. Gleichwohl wäre es falsch, zu glauben, Descartes’ mechanistische Grundüberzeugung habe zu einem Bruch mit der theologischen Überlieferung führen müssen. Gerade beim methodischen Neubeginn des wissenschaftlichen Denkens erweist sich das Fundieren als die eigentlich metaphysische Tätigkeit. Weil aber im großen philosophischen Rationalismus nur Gott das Fundament der Fundamente liefern kann, bleibt die moderne Philosophie cartesischen Typs charakteristisch in der Schwebe zwischen Theologie und Maschinentheorie. Nicht umsonst haben die großen Systemarchitekten des Deutschen Idealismus in Descartes ihren Vorgänger gefeiert. Für sie war wie für den großen Franzosen das Grundlegen die Frömmigkeit
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