Picknick mit Bären
schön. Im Licht der langen Strahlen der untergehenden Sonne schimmerte die Wasseroberfläche golden. In Ufernähe kreisten zwei Seetaucher, als machten sie sich nach dem Abendessen noch zu einem kleinen Spazierflug auf. Ich beobachtete sie eine ganze Weile, und mir fiel ein Naturfilm ein, den ich vor einiger Zeit auf BBC gesehen hatte.
Seetaucher sind keine geselligen Tiere. Nur gegen Ende des Sommers, kurz bevor sie zum Nordatlantik zurückfliegen, wo sie auf stürmischen Wellen reitend den Winter verbringen, laden sie sich gegenseitig zu kleinen Versammlungen ein. Ein Dutzend oder mehr Seetaucher von den Nachbarseen fliegen herbei, und alle schwimmen ein paar Runden im Wasser. Es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür, außer der puren Freude am Zusammensein. Der jeweilige Gastgeber führt seinen Gästen stolz, aber doch zurückhaltend sein Territorium vor – zuerst geht es zu seiner Lieblingsbucht, dann vielleicht zu einem umgestürzten Baum, dann weiter zu einem weichen Teppich aus Wasserlilien. »Hier gehe ich morgens immer gern auf Fischfang«, teilt er den anderen mit. »Und an dieser Stelle da wollen wir nächstes Jahr unser Nest bauen.« Die anderen Seetaucher folgen ihm emsig und zeigen sich höflich interessiert. Man weiß nicht, warum sie das tun (so wenig, wie man weiß, warum ein Mensch einem anderen Menschen gern sein renoviertes Badezimmer zeigen will) oder wie sie diese Zusammenkünfte organisieren, dennoch finden sich die Tiere jeden Abend zur rechten Zeit am richtigen See ein, mit einer Gewißheit, als hätte man ihnen eine Einladung geschickt: »Wir feiern ein Fest!« Ich finde so etwas wundervoll. Meine Freude wäre noch größer gewesen, wenn ich nicht andauernd an Katz hätte denken müssen, der jetzt bei Mondlicht keuchend durch die Nacht irrte und einen See suchte.
Ach, übrigens: Die Seetaucher verschwinden zunehmend, weil die Seen am sauren Regen sterben.
Die Nacht war natürlich entsetzlich, und ich war vor fünf Uhr auf den Beinen und beim ersten Dämmerlicht wieder auf dem Trail. Ich ging weiter nach Norden, die Richtung, in die Katz ebenfalls gegangen war, wie ich vermutete, aber es beschlich mich das Gefühl, daß ich mich nur noch tiefer in die Hundred Mile Wilderness begab – nicht der allerbeste Weg, wenn Katz vielleicht ganz in der Nähe war und Probleme hatte. Gelegentlich erfüllte mich der Gedanke, daß ich hier, am Ende der Welt, ganz allein auf mich gestellt war, mit einer gewissen Unruhe – einer Unruhe, die kurzzeitig noch heftig verstärkt wurde, als ich beim Abstieg zurück in das namenlose Tal in meiner Eile stolperte und beinahe 15 Meter tief gestürzt und unten in der Schlucht aufgeprallt wäre. Das hätte eine ziemliche Schweinerei gegeben. Ich hoffte nur, daß ich das Richtige tat.
Selbst in Hochform würde ich drei, vielleicht sogar vier Tage bis Aböl Bridge und zum Campingplatz brauchen. Bis ich dann die Polizei oder Rettungsmannschaften benachrichtigt hätte, wäre Katz bereits vier bis fünf Tage vermißt gewesen. Wenn ich andererseits jetzt umkehren und den Weg zurückgehen würde, den wir gekommen waren, könnte ich morgen nachmittag schon in Monson sein. Das Beste wäre, es käme mir jemand entgegen, der Richtung Süden ging und mir sagen könnte, ob er Katz begegnet war oder nicht, aber außer mir war niemand auf dem Trail. Es war jetzt kurz nach sechs. In Chairback Gap, neuneinhalb Kilometer weiter, gab es einen Unterstand. Den würde ich gegen acht Uhr erreichen. Wenn ich Glück hatte, würde ich vielleicht noch jemanden antreffen. Ich zog entschlossen weiter, mit etwas mehr Bedacht und einem unangenehmen Gefühl der Unsicherheit.
Ich kletterte über den Gipfel des Fourth Mountain – was mit einem Rucksack auf dem Rücken sehr viel schwerer fällt – und stieg in das nächste bewaldete Tal dahinter ab. Sechseinhalb Kilometer hinter dem Cloud Pond gelangte ich an einen kleinen Bach, den man kaum als solchen bezeichnen konnte – eigentlich war es nur ein Schlammloch. Aufgespießt auf einen Zweig neben dem Trail, an einer absichtlich unübersehbaren Stelle, steckte eine leere Packung Old-Gold-Zigaretten. Katz war kein starker Raucher, aber er hatte immer eine Packung Old Golds dabei. Im Schlamm neben einem umgestürzten Baumstamm lagen drei Zigarettenkippen. Offenbar hatte Katz hier gewartet. Er war also am Leben, hatte den Trail nicht verlassen und war eindeutig hier entlanggekommen. Ich spürte gleich ein Gefühl unermeßlicher Erleichterung.
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