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Der General von Dorsai

Der General von Dorsai

Titel: Der General von Dorsai
Autoren: Gordon R. Dickson
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Kadett
     
    Der Junge war sonderbar.
    Soviel wußte er selbst. Während seines jungen, bisher achtzehn kurze Jahre zählenden Lebens war dies immer wieder Gesprächsthema seiner älteren Familienangehörigen – seiner Mutter, seines Vaters, seiner Onkel – und der vorgesetzten Offiziere an der Akademie gewesen. Und wenn sie darüber sprachen, dann nickten sie sich bedeutsam zu. Das Halbdunkel der bernsteinfarbenen Abenddämmerung hüllte ihn ein, als er nun allein durch das leere Übungsgelände wanderte, um sich vor dem Abschlußessen, das ihn zu Hause erwartete, noch ein wenig die Beine zu vertreten. Und in diesen Augenblicken gestand er sich seine Ungewöhnlichkeit ein – ob sie nun tatsächlich in ihm war oder nur im Auge des Betrachters.
    Einmal hatte er zufällig mitgehört, wie der Kommandeur der Akademie zum Mathematikoffizier sagte: „Ein eigenartiger Junge. Man weiß nie, welchen Weg er einschlägt.“
    Zu Hause wartete die Familie nun auf seine Rückkehr – im Ungewissen darüber, welchen Weg er einschlagen mochte. Bestimmt rechneten sie halb damit, daß er sich weigern würde, seine Heimat zu verlassen und hinauszuziehen. Warum? Er hatte ihnen nie einen Anlaß gegeben, daran zu zweifeln. Er war ein Dorsai von Dorsai, seine Mutter eine Kenwick, sein Vater ein Graeme – Namen, so uralt, daß ihr Ursprung tief im Dunkel der Vorgeschichte des Mutterplaneten verborgen war. Sein Mut war unbestritten, sein Wort nie gebrochen. Er war der Beste in seiner Klasse. Jede Faser seines Selbst verkörperte das Vermächtnis einer langen Ahnenreihe berühmter Berufssoldaten. Nicht ein einziger Schandfleck beschmutzte diesen stolzen Stammbaum von Kriegern: Niemals war ein Haus in Brand gesteckt, niemals waren die Bewohner gezwungen worden, mit ihren Familien davonzuziehen und sich unter falschem Namen irgendwo zu verbergen, weil einer ihrer Söhne versagt hatte. Und doch zweifelten sie an ihm.
    Er gelangte an den Zaun, der die hohen Hürden von den Sprunggruben abgrenzte, und stützte sich mit beiden Ellbogen darauf ab. Der Waffenrock, der ihn als Seniorkadett auswies, spannte sich in den Schultern. In welcher Hinsicht bin ich sonderbar, fragte er sich und starrte in das düstere Glühen des Sonnenuntergangs. Was unterscheidet mich von den anderen?
    Vor seinem geistigen Auge trat er von sich selbst zurück und betrachtete sich: ein schlanker junger Mann von achtzehn Jahren – groß, aber nicht groß nach dem Maßstab der Dorsai; kräftig, aber nicht kräftig nach der Norm der Dorsai. Er hatte das Gesicht seines Vaters: kantig, mit klar umrissenen Zügen und einer geraden Nase, ohne daß es jedoch genauso grobknochig wirkte. Er hatte die dunkle Hautfarbe der Dorsai, und sein Haar war glatt und schwarz und fast ein wenig zu dicht. Nur seine Augen – diese seltsamen Augen, die jeweils nach seinen wechselnden Stimmungen einen grauen oder grünen oder blauen Glanz annahmen – waren nirgendwo sonst in den Ästen und Zweigen seines Stammbaums vertreten. Aber Augen allein konnten doch sicherlich nicht den Ruf begründen, sonderbar zu sein?
    Natürlich war da noch sein Temperament. In vollem Ausmaß hatte er jene eisigen, jähen, alles andere verdrängenden und mörderischen Wutanfälle der Dorsai geerbt – und wenn ein Dorsai einen solchen Wutanfall hatte, dann wagte es niemand, der noch alle Sinne beisammen hatte, ihm ohne guten Grund über den Weg zu laufen. Doch das war ein allgemein verbreiteter Charakterzug. Und wenn die Dorsai Donal Graeme für sonderbar hielten, dann nicht aus diesem Grund allein.
    Sein Blick klebte an dem verblassenden Glühen der untergehenden Sonne, während er darüber nachgrübelte. War es deswegen, weil er selbst in seinen Wutausbrüchen ein wenig zu berechnend war – ein wenig zu beherrscht und zurückhaltend? Und als ihm dieser Gedanke durch den Sinn fuhr, ergoß sich all das Seltsame und Sonderbare in ihm wie mit einer plötzlichen Woge in seinen Geist – und einher damit ging das unheimliche Gefühl der Körperlosigkeit, an dem er seit seiner Kindheit immer wieder litt.
    Es kam immer in Augenblicken wie diesem; es war die Gischt, die auf der Welle aus Erschöpfung oder einer großen emotionalen Belastung schäumte. Er erinnerte sich daran, wie er es als Halbwüchsiger beim Abendgottesdienst in der Akademiekapelle empfunden hatte, als er nach einem langen Tag harter militärischer Übungen und noch anstrengenderer Unterrichtsstunden halb ohnmächtig vor Hunger gewesen war. Es war um
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