130 - Die Hexe mit dem Todesatem
Inaza war eine Schönheit, eine rassige Zigeunerin mit einem biegsamen, geschmeidigen Körper, mit vollen Brüsten und schwellenden Hüften.
Eine Frau, die die Männer verrückt machen konnte. Sie wurde von vielen begehrt, und sie erhörte das Liebeswerben so manchen Mannes.
Er hielt sich für einen Glückspilz, doch er war ein Todgeweihter, denn Inazas Seele war so schwarz wie die Nacht, und ihr Körper, in dem ein verzehrendes Feuer brannte, gehörte dem Teufel.
Wenn Inaza einem Mann ihre »Gunst« schenkte, dann geschah es nur, um der Hölle ein Opfer zuzuführen, um dem Reich der Verdammnis eine Seele zu verschaffen.
Viele Jahre zog Inaza, die Zigeunerin, durch die Länder Europas. Grenzen kannte sie nicht, denn das Böse akzeptiert keine Grenzen, die von Menschen geschaffen wurden.
Und Inaza war eine Vertreterin des Bösen, eine Botschafterin des Grauens, die keine Gelegenheit ausließ, der schwarzen Macht zu einem Sieg zu verhelfen.
Auf ihrem Weg durch die Lande tauchte Inaza auch wieder in Ungarn auf. Als sie vor langem fortgegangen war, hatte man gehofft, sie würde nie mehr zurückkehren, aber nach all den Wanderjahren hatte es Inaza in ihre Heimat zurückgezogen.
Eine Frau, die ewige Schönheit und Jugend besaß, strahlend und begehrenswert wie eh und je, während jene, die Inaza von früher gekannt hatten, inzwischen alt und gebrechlich geworden waren.
Wären es nicht Mönche gewesen, die sie gefangennahmen, hätte sie keine Schwierigkeiten gehabt, sich zu befreien. Sie hätte die Männer, die es wagten, Hand an sie zu legen, getötet und ihr schreckliches Treiben fortgesetzt.
Aber die Mönche waren heilige Männer, die wußten, wie man sich gegen böse Kräfte schützte. Ihnen konnte Inaza nichts anhaben. Sie hatte es mehrfach versucht, aber was sie auch unternommen hatte, um freizukommen, hatte nicht gefruchtet.
Und nun befand sie sich auch noch auf geweihtem Boden!
»Ich halte das nicht länger aus!« schrie sie. »Seht ihr denn nicht, wie mich das quält? Habt ihr kein Herz im Leibe? Wie könnt ihr mir so etwas antun?«
»Du würdest nichts spüren, wenn du nicht mit dem Bösen im Bunde wärst«, bekam sie zur Antwort.
»Das ist nicht wahr!« schluchzte Inaza. »Ihr müßt, mich mit einer anderen Frau verwechseln. Ich sammle Kräuter und Beeren, um den Menschen zu helfen, ihre Leiden zu lindern.«
»Du vergiftest sie damit. Durch dein Gebräu verlieren sie den Verstand oder siechen dahin!«
»Wie könnt ihr so etwas behaupten?« weinte die Hexe. »Ich habe in meinem Leben immer nur Gutes getan, war selbstlos und fromm.«
Man hielt ihr ein Kruzifix vors Gesicht. Sie konnte den Anblick kaum ertragen. Er war peinigend für sie.
»Fromm bist du? Beweise es!« verlangte man von ihr.
»Wie denn?« würgte die Hexe hervor.
»Küsse dieses Kreuz!«
Es war ihr unmöglich. »Das… das kann ich nicht!«
»Küß es!«
Sie schrie und wollte sich mit der ganzen Kraft, die ihr noch geblieben war, losreißen. Als man ihr das Kreuz auf die Lippen drückte, verstummte sie.
Es war so, als hätte ein Blitzstrahl sie getroffen. Sie sackte zusammen und hing schlaff und bewußtlos zwischen den Mönchen. Sie hoben Inaza hoch und trugen sie durch den nächtlichen Klosterhof.
Fackeln brannten. Sie steckten in massiven Eisenringen, die in die Klostermauer eingelassen waren. In einer Nische war ein Holzpfahl in den Boden geschlagen worden. Daran band man die Hexe fest.
»Und nun, Brüder, tut, was getan werden muß«, sagte einer der Mönche.
Schweigsam nahmen die anderen die Werkzeuge in die Hand und begannen mit der Arbeit: Sie errichteten vor Inaza eine Mauer. Die Hexe sollte für alle Zeiten in dieser Nische verschwinden.
Die Mönche arbeiteten sehr schnell. Sie waren bestens aufeinander eingespielt. Dies war nicht die erste Mauer, die sie errichteten, das sah man.
Es gab im Kloster immer wieder etwas auszubessern oder umzubauen. Die heiligen Männer hatten in dieser Tätigkeit sehr viel Übung. Die Mauer wuchs sehr schnell.
Ein weiteres Mörtelband wurde aufgebracht, die nächsten Steine wurden gesetzt.
Damit Inaza nicht neue Kräfte sammeln und ausbrechen konnte, hatte man den Mörtel mit Weihwasser angereichert. Eine solche Sperre konnte die Hexe nicht sprengen.
»Haltet ein!« sagte plötzlich jener Mönch, der die Arbeit überwachte.
Die Kuttenträger hielten in ihrer Tätigkeit inne. Ihr Bruder trat vor und nahm der Hexe eine Goldkette ab, an der ein in Gold gefaßter Rubin hing.
Stumm
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