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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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als jene Leichname. Ich war damals Patrouillenpilot und hatte meine Stunden längst abgeflogen, das heißt, eigentlich war ich es nur noch an jedem Ersten, wenn ich mein Gehalt kassierte. Meine Lust zu fliegen war jedoch so groß, daß ich selbst mit einem eisernen Ofen einverstanden gewesen wäre, hätte sich sein bißchen Zug in Schub umsetzen lassen.
    Kein Wunder also, daß ich mich in Le Mans’ brasilianischem Büro meldete, kaum daß ich seine Annonce gelesen hatte. Ich möchte hier nicht behaupten, daß die von Le Mans oder vielmehr von seinen Agenten angeheuerten Besatzungen eine Art Fremdenlegion gewesen wären oder eine Ansammlung von Strolchen, denn solche Leute fliegen überhaupt nicht. Aber heutzutage begibt man sich kaum noch in den Kosmos, um Abenteuer zu suchen. Dort gibt es keine Abenteuer mehr, wenigstens nicht im allgemeinen. Man entschließt sich also dazu wegen irgendeines Unglücks oder einfach so, aus purer Laune. Solche Leute sind das schlechteste Material, denn dieser Dienst verlangt mehr Standfestigkeit als die Seefahrt, und Leute, denen alles schnurz ist, haben an Bord nichts zu suchen. Ich will nicht den Psychologen spielen, ich möchte nur erklären, weshalb ich schon nach der ersten Reise die Hälfte der Besatzung verlor. Die Techniker mußte ich entlassen, weil sie sich unter dem Einfluß des Funkers, eines kleinen Mestizen, dem Trunk ergeben hatten. Die Tricks, mit denen es dieser Bursche verstand, Alkohol an Bord zu schmuggeln, kann man schon genial nennen. Er spielt mit mir Katz und Maus. Einmal versenkte er Plastschläuche in den Kanistern, aber das möchte ich nur nebenbei erwähnen. Wahrscheinlich würde er sogar im Reaktor Whisky verstecken, wenn das möglich wäre. Ich kann mir vorstellen, welche Entrüstung das bei den Pionieren der Astronautik hervorgerufen hätte. Mir ist unbegreiflich, wie sie daran glauben konnten, daß der bloße Aufstieg in eine Umlaufbahn den Menschen in einen Engel verwandele. Vielleicht spukte in ihren Köpfen, ohne daß sie es wußten, der paradiesisch blaue Himmel, der während des Starts so schnell verschwindet? Aber es ist wohl dumm von mir, solche Erwägungen anzustellen. Dieser Mexikaner, der eigentlich in Bolivien geboren wurde, verschaffte sich eine Nebeneinnahme, indem er Marihuana verkaufte. Außerdem machte es ihm Spaß, mich an der Nase herumzuführen. Aber ich kannte Schlimmere als ihn. Le Mans war ein großer Mann, er befaßte sich nicht mit Einzelheiten, er legte für seine Agenten nur das finanzielle Limit fest. Nicht genug also damit, daß ich außerstande war, meine Besatzung zu komplettieren, ich mußte auch noch um jeden Kilometer Schub bangen und mir jedes Manöver dreimal überlegen. Die Uranographen wurden nach jedem Flug wie Finanzbücher kontrolliert, ob nicht, Gott behüte, irgendwo zehn Dollar in der Gestalt von Neutronen davongeflogen waren. Was ich dort tat, hatte man mich nie gelehrt – möglich, daß ähnliche Dinge vor hundert Jahren auf alten Tramps vorkamen, die zwischen Glasgow und Indien kursierten. Nun, ich habe mich nie beklagt, und jetzt denke ich manchmal – fast schäme ich mich, es zu sagen – mit Wehmut daran. Diese »Perle der Nacht« – welch ein Name! Das Raumschiff löste sich allmählich auf, das Fliegen bestand darin, alle möglichen undichten Stellen und Kurzschlüsse zu finden. Jeder Start und jede Landung fanden gegen alle Gesetze – nicht nur der Physik – statt. Wahrscheinlich hatte Le Mans’ Agent gute Bekannte im Merkurhafen, sonst hätte jeder Kontrollingenieur sofort alles versiegelt, angefangen von der Steueranlage bis zum Reaktor. So flogen wir also zu den Jagdgebieten im Perihel und spürten mit den Radargeräten die Wracks auf. Dann wurden sie zusammengeholt und zu einem »Zug« formiert. Ich hatte dort alles auf einmal: Krach mit den Technikern, Schnaps mußte ins All hinausgeworfen werden – noch heute segelt dort London Dry Gin durch die Gegend –, und verzwickte mathematische Probleme; die Navigation beruhte nämlich darauf, Annäherungswerte zu finden für das Verhalten vieler Körper im Raum. Was es im Überfluß gab, war Leere. Leere in Raum und Zeit. Ich schloß mich in der Kajüte ein und las. An den Verfasser erinnere ich mich nicht, es war ein Amerikaner, und im Titel war wohl von Sternenstaub die Rede. Wie das Buch anfing, weiß ich ebenfalls nicht, denn ich begann irgendwo in der Mitte zu lesen. Der Held befand sich im Reaktorraum und telefonierte mit dem Piloten, als

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