Pilot Pirx
herauszuziehen, hatte ihn mit marktschreierischen Schlagzeilen zum geheimnisvollen Zeugen der Tragödie erklärt und behauptet, er sei von einer Kommission hinter verschlossenen Türen vernommen worden. Pirx dachte an das stumpfsinnige Krächzen des Automaten. Unsinn, ganz offensichtlicher Unsinn!
Er klappte das Logbuch zu, warf es in die Schublade und sah auf die Uhr.
Punkt acht, höchste Zeit! Alles war zum Start bereit – Luken geschlossen, Hafenkontrolle und sanitäre Überprüfung beendet, Zollerklärungen avisiert. Pirx suchte die Frachtpapiere zusammen, er überflog das Warenzertifikat und wunderte sich, daß ihm keine genaue Liste vorlag. Maschinen? Schön und gut, aber was für welche? Und welches Taragewicht? Weshalb fehlt das Diagramm der Ladung mit dargestelltem Schweremittel? Nichts – nur das Bruttogewicht und das Schema der Verteilung auf die Laderäume. Im Heck sind kaum dreihundert Tonnen verstaut – wieso? Soll das Schiff mit verminderter Last fliegen? Warum erfahre ich das zufällig und im letzten Augenblick?
Er durchwühlte in fieberhafter Hast die Fächer, warf die Papiere durcheinander, ohne zu finden, was er suchte – und er vergaß darüber völlig die Tragödie, die ihn eben noch beschäftigt hatte. Als er den Radiographen erblickte, den er aus der Kassette herausgenommen hatte, fiel ihm die ganze Geschichte wieder ein, und er zuckte zusammen. Kurz darauf geriet ihm ein Zettel in die Finger. Ihm entnahm er, daß im letzten Laderaum, dessen Boden an die Atomsäule grenzte, achtundvierzig Kisten mit Lebensmitteln lagerten. »Leicht verderbliche Lebensmittel« stand da geschrieben. Weshalb haben sie das Zeug ausgerechnet dort untergebracht, wo die Temperaturen bei laufenden Motoren am höchsten sind und wo es kaum Frischluft gibt? fragte er sich. Ist das Absicht? Soll es verderben?
Es klopfte.
»Bitte!« sagte er, eiligst bemüht, die Papiere zu ordnen und wegzuschließen. Zwei Männer traten ein, blieben auf der Schwelle stehen.
»Boman, Nukleoniker.«
»Sims, Elektriker.«
Pirx stand auf. Sims war jung, hager, die emsig hin und her huschenden Äuglein erinnerten an ein Eichkätzchen. Er hustete. In Boman erkannte Pirx auf den ersten Blick den Veteranen. Sein Teint war braun – braun mit einem charakteristischen Stich ins Orangefarbene. Es waren die Spuren kosmischer Strahlen – kleiner Mengen, die sich im Laufe der Jahre summiert hatten. Boman reichte Pirx kaum bis zu den Schultern. Damals, als er zu fliegen begann, zählte noch jedes Kilo Gewicht an Bord. Obwohl er mager war, wirkte sein Gesicht gedunsen. Dunkle Säcke lagen unter seinen Augen – stumme Zeugen der Belastungen, denen der Organismus ausgesetzt gewesen war. Die Unterlippe verdeckte die Zähne nicht.
So werde ich auch mal aussehen, dachte Pirx, während er mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging.
I
Die Hölle begann um neun. Auf dem Startplatz herrschte das übliche Treiben. Die Raumschiffe standen in langen Reihen bereit, alle sechs Minuten belferten die Lautsprecher, Warnraketen wurden abgeschossen, Triebwerke dröhnten, brüllten, donnerten im Probelauf. Ein Schiff startete nach dem anderen, jedesmal regnete es Staubkaskaden vom Himmel. Kaum hatte sich der Schmutz gesetzt, da kam von dem kleinen Turm schon das Signal »Freie Bahn!« für den nächsten Piloten. Alle hatten es eilig, jeder wollte ein paar Minuten gewinnen – so war es in den Spitzenzeiten auf allen Güterumschlaghäfen. Fast jedes Schiff flog zum Mars, die Menschen dort baten verzweifelt um Maschinen und Grünzeug, sie bekamen oft monatelang kein Frischgemüse zu sehen, denn die hydroponischen Solarien waren erst im Bau.
Kräne wurden verladen, Betonmischmaschinen, Elemente von Gitterkonstruktionen, Glaswatte in großen Ballen, Medikamente, Behälter mit Zement und Rohöl. Jedesmal, wenn ein Warnzeichen ertönte, gingen die Arbeiter in Deckung. Sie sprangen in die Strahlungsschutzgräben, in gepanzerte Zugmaschinen – und kaum war alles vorbei, da nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf, auch wenn der Betonboden noch nicht abgekühlt war. Um zehn, als sich die Sonne über dem Horizont zeigte, rot, rauchverhangen und eigenartig gedunsen, waren die Betonschutzwälle zwischen den Startrampen rissig, rußbedeckt und vom Feuer zerfressen. Die Schäden wurden rasch mit schnelltrocknendem Zement ausgebessert, der wie Schlammfontänen aus den Schläuchen quoll. Die Männer der Strahlungsbekämpfung sprangen in ihren Skaphandern aus den
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