Pilot Pirx
aufs strengste jedes überflüssige Manöver im Raum. Als ob es sich dabei um ein überflüssiges Manöver gehandelt hätte!
Pirx ließ das Schächtelchen in die Tasche zurückgleiten. Die Piloten schleppten meist noch viel seltsamere Dinge mit, besonders wenn ein Patrouillenflug so lange dauerte wie dieser. Früher hatte die Leitung beide Augen zugedrückt, wenn unnötig Uran vergeudet wurde und außer den Raketen samt Piloten auch noch alle möglichen Kinkerlitzchen in den Himmel geschleudert wurden, Vögel beispielsweise, die Brotkrumen aufpickten, wenn man sie aufzog, automatische Hornissen, die auf automatische Wespen Jagd machten, chinesische Geduldspiele aus Nickel und Elfenbein – und niemand erinnerte sich überhaupt noch daran, daß der erste, der die Basis mit dieser Sucht infiziert hatte, der kleine Aarmens gewesen war, der seinem sechsjährigen Sohn vor jedem Patrouillenflug einfach das Spielzeug wegnahm.
Dieses Idyll währte ziemlich lange – fast ein Jahr, bis zu dem Moment, da die Raketen nicht mehr zurückkehrten.
In jenen friedlichen Zeiten murrten übrigens viele über die Patrouillenflüge, und wenn jemand der Gruppe zugeteilt wurde, die den Raum »zu durchkämmen« hatte, dann wertete er das als ein Zeichen der persönlichen Feindschaft des Chefs. Pirx wunderte sich keineswegs darüber. Mit den Patrouillen war es wie mit den Masern, früher oder später erwischte es jeden mal.
Aber dann kam Thomas nicht wieder, der große, dicke Thomas mit der Schuhgröße 45, der so gerne Streiche ausgeheckt und Pudel gezüchtet hatte, natürlich die klügsten Pudel der Welt. Selbst in den Taschen seiner Kombination konnte man Wurstpellen und Würfelzucker finden, und der Chef argwöhnte sogar, Thomas schmuggle mitunter auch Pudel ins Raumschiff, obgleich Thomas hoch und heilig beteuerte, so etwas würde ihm nicht im Traum einfallen. Schon möglich. Aber das konnte ohnehin niemand mehr ergründen, denn Thomas startete eines schönen Julinachmittags, nahm zwei Thermosflaschen voll Kaffee mit – er trank immer schrecklich viel – und stellte sich für alle Fälle in der Pilotenmesse noch eine dritte bereit, um nach seiner Rückkehr einen Kaffee zu haben, wie er ihn mochte, gemahlen und mit Salz und Zucker aufgebrüht.
Der Kaffee wartete dort sehr lange. Am dritten Tag um sieben Uhr ging die »zulässige Verspätung« zu Ende, und Thomas’ Name wurde mit Kreide an die Tafel im Navigationsraum geschrieben – er als einziger. Das hatte es noch nie gegeben, und nur die ältesten Piloten erinnerten sich, daß früher mal Havarien aufgetreten waren, ja, sie tischten den Jüngeren mit Vergnügen Greuelgeschichten über die Zeiten auf, da man die Meteoritenwarnung manchmal eine Viertelstunde vor dem Zusammenprall bekam – gerade noch rechtzeitig, um von der Familie Abschied nehmen zu können. Über Funk, versteht sich. Aber das war wirklich schon sehr lange her. Die Tafel im Navigationsraum blieb stets leer, sie hatte es eigentlich nur dem Trägheitsgesetz zu verdanken, daß sie noch immer an der Wand hing.
Um neun war es noch relativ hell – die diensthabenden Piloten verließen die Abhörzentrale, versammelten sich auf den Grünflächen um die riesige Betonbahn des Landeplatzes und starrten in den Himmel. Niemand durfte in die Navigationszentrale. Der Chef kam aus der Stadt, zog alle Registrierbänder mit den aufgezeichneten Signalen des automatischen Senders von Thomas aus den Trommeln und stieg in die Glaskuppel des Observatoriums hinauf, die sich wie irrsinnig drehte und nach allen Seiten die schwarzen Radarmuscheln ausrollte.
Thomas war auf einer kleinen AMU geflogen, sein Atomtreibstoff hätte ausgereicht, um »mindestens die halbe Milchstraße abzuklappern«, wie ein Unteroffizier von den Tankern die Piloten zu trösten versuchte. Alle hielten ihn für einen ausgemachten Trottel, und einer sagte ihm sogar gehörig die Meinung, denn einen Vorrat an Sauerstoff gab es in der AMU so gut wie gar nicht, lediglich eine Fünftageration mit einer eisernen Reserve für acht Stunden. Volle vier Tage lang suchten die achtzig Piloten der Station, die vielen anderen der insgesamt fast fünftausend Raketen nicht mitgerechnet, den Sektor ab, in dem Thomas verschwunden war. Sie fanden nichts. Es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Der zweite war Wilmer. Ihn mochte, offen gesagt, niemand so recht. Eigentlich gab es keinen einzigen triftigen Grund dafür, um so mehr viele kleine. Er ließ niemanden
Weitere Kostenlose Bücher