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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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dreiundachtzigsten Minute die Beschleunigung null zu haben, wie es in der Instruktion vorgesehen war. Plötzlich erblickte er etwas – ihm wurde eiskalt unter der nassen Antischweißwäsche: Der weiße Deckel über der Schalttafel war im Begriff, aus den Klemmen zu rutschen, er glitt Millimeter um Millimeter tiefer. Offenbar war er ein wenig locker eingehängt, und beim Rütteln des Schiffes während der Wendemanöver – er war in der Tat ziemlich unsanft mit der Rakete umgegangen – hatten die Druckriegel nachgelassen. Die Beschleunigung betrug immer noch 1,7 g. Der Deckel rutschte langsam tiefer, als ob jemand mit einem unsichtbaren Faden an ihm zerrte – bis er schließlich absprang und herunterfiel. Er schlug von außen gegen die durchsichtige Kapselwand, glitt daran herunter und blieb am Boden liegen. Die vier kupfernen Hochspannungsleitungen und die Sicherungen blitzten auf.
    Warum hatte ich bloß solche Angst? dachte Pirx. Der Deckel ist heruntergefallen, na und? Mit oder ohne Deckel, ist das nicht einerlei?
    Aber er war besorgt – das hätte nicht passieren dürfen. Wenn der Deckel von der Sicherung herunterfallen kann, dann kann auch das Heck abbrechen, sagte er sich.
    Er wußte, daß er nur noch siebenundzwanzig Flugminuten mit Beschleunigung vor sich hatte, und er befürchtete, daß der Deckel schwerelos werden und umherfliegen könnte, wenn er die Triebwerke abschaltete. Konnte er etwas Schlimmes anrichten? Wohl kaum. Er war nicht schwer genug. Nicht einmal eine Scheibe würde er einschlagen. Ach was ...
    Er suchte die Fliegen – sie jagten einander, kreisten summend in der Kapsel umher, bis sie sich schließlich unter den Sicherungen niederließen, so daß er sie aus den Augen verlor.
    Im Radaroskop erblickte er seine beiden JO-Schiffe – sie hielten Kurs. Der vordere Schirm zeigte die Mondscheibe, sie war so groß, daß sie den halben Schirm ausfüllte. Damals, bei den selenographischen Übungen im Tycho-Krater, hatte Boerst mit Hilfe eines gewöhnlichen tragbaren Theodoliten ... Ach, verflixt, was der nicht alles konnte! Hatte er nicht auch versucht, die Luna-Hauptstation am äußeren Abhang des Archimedes wiederzufinden? Sie war fast gänzlich im Felsen vergraben und kaum zu erkennen gewesen, nur die glatte Landebahn mit den Signallichtern war zu sehen, aber nur, wenn sie in der Zone der Nacht lag, doch jetzt schien dort die Sonne. Die Station selbst ruhte zwar in einem Schattenstreifen, den der Krater warf, aber der Kontrast zu der gleißenden Scheibe ringsherum war so stark, daß sich die schwächlichen Flämmchen der Signallichter überhaupt nicht abhoben.
    Der Mond sah aus, als hätte noch nie der Fuß eines Menschen auf ihm gestanden – von den Mondalpen fielen überlange Schatten auf die Ebene des »Meeres der Regen«. Pirx erinnerte sich an seinen ersten Mondflug, damals war die ganze Gruppe dabei, als gewöhnliche Passagiere. Eselswiese hatte ihn gebeten, nachzuprüfen, ob Sterne siebenter Größe vom Mond aus noch sichtbar seien, und er, dumm wie er damals war, hatte sich mit dem größten Eifer an diese Aufgabe gemacht! Ihm war völlig entfallen, daß vom Mond aus tagsüber überhaupt keine Sterne zu sehen sind – der Blick ist durch das Sonnenlicht, das sich am Boden widerspiegelt, viel zu sehr geblendet. Eselswiese hatte ihn noch lange mit diesen Sternen gehänselt.
    Die Mondscheibe auf den Schirmen wurde immer größer. Bald würde sie die Reste des schwarzen Himmels völlig verdrängt haben, zumindest auf dem vorderen Schirm.
    Sonderbar, das Summen war verstummt. Pirx sah zur Seite – und erstarrte.
    Auf der erhabenen Fläche der Sicherung saß eine der beiden Fliegen und putzte sich die Flügel, die andere machte ihr währenddessen den Hof. Ein paar Millimeter weiter glänzte das nächste Kabel. Die Isolierung endete ein wenig höher – alle vier Kabel lagen frei. Jedes von ihnen war beinahe so stark wie ein Bleistift. Da die Spannung nicht allzu hoch war – tausend Volt –, gab es zwischen den Kabeln nur geringe Abstände – jeweils nur sieben Millimeter. Pirx wußte zufällig, daß es genau sieben Millimeter waren. Sie hatten einmal die gesamte elektrische Installation auseinandergenommen, und er hatte sich vom Assistenten Unverschämtheiten anhören müssen, weil er die Abstände zwischen den Leitungen nicht kannte.
    Die eine Fliege hatte inzwischen vom Liebesspiel abgelassen und kroch jetzt auf der bloßen Leitung entlang. Das schadete ihr nicht, aber wenn es sie

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