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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ich mich als Navigator von Unterseebooten entpuppen können, und wenn ich nicht so skrupulös wäre, hätte ich mich vielleicht sogar dafür ausgegeben. Ich hätte mich in meiner Kajüte eingeschlossen, aber das ging nicht. Der Agent war selbstverständlich nicht dumm. Er verließ sich, wenn schon nicht auf meine Loyalität, so doch auf meinen Selbsterhaltungstrieb. Ich wollte heimkehren, und da diese hunderttausend Tonnen im All nichts wogen und ein Abkoppeln unsere Geschwindigkeit nicht um einen Millimeter pro Sekunde erhöht hätte, war ich nicht so boshaft, es dennoch zu tun. Denn auch solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, wenn ich morgens von einem zum anderen mit Watte, Öl, Verbandstoff, Spiritus und Aspirin ging.
    Meine einzige Abwechslung war dieses Buch über die Liebe im All inmitten von Meteoritentaifunen. Manche Abschnitte las ich bis zu zehnmal. Es traten dort alle möglichen furchtbaren Ereignisse ein: Elektrische Gehirne revoltierten, die Agenten der Piraten hatten im Schädel montierte Sender, eine schöne Frau stammte von einem anderen Sonnensystem, aber von Ziegenpeter kein Wort. Um so besser für mich natürlich. Mir stand er ohnehin bis zum Halse. Manchmal sogar die ganze Weltraumfahrt – so schien es mir wenigstens.
    In freien Augenblicken versuchte ich herauszufinden, wo der Funker seine Alkoholvorräte verbarg. Ich weiß nicht, vielleicht überschätze ich ihn, aber ich hatte den Eindruck, als verriete er manche Verstecke absichtlich, wenn der Schnaps darin zur Neige ging, einfach nur, damit ich standhaft blieb und seine Trunksucht nicht mit einem Achselzucken quittierte. Denn wo er seine Hauptquelle hatte, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht war er schon so sehr vom Alkohol durchtränkt, daß er den grundlegenden Vorrat in sich trug? Jedenfalls lief ich kreuz und quer durch das Raumschiff wie eine Fliege an der Decke, ich ruderte im Heck umher und im Mittelschiff, wie einem das manchmal in Träumen passiert, ich fühlte mich mutterseelenallein – die Brüder lagen alle verschwollen in den Kajüten, der Ingenieur saß ungerührt im Steuerraum und lernte vom Linguaphon Französisch; es war still, als wäre an Bord die Pest ausgebrochen, nur manchmal drang Weinen oder Gesang durch die Ventilationskanäle. Von diesem bolivianischen Mexikaner. Immer gegen Abend packte es ihn, da überkam ihn der Weltschmerz. Mit den Sternen hatte ich wenig zu tun, berücksichtigt man nicht das Buch dieses Amerikaners. Manche Abschnitte kannte ich auswendig, zum Glück sind sie mir inzwischen entfallen. Ich wartete darauf, daß dieser Mumps zu Ende ging, denn das Robinsondasein blieb auf die Dauer auch bei mir nicht ohne Wirkung. Den Tiefbauingenieur mied ich, obwohl er auf seine Weise ein ganz anständiger Kerl war und mir hoch und heilig versicherte, daß er den Vertrag nie unterschrieben hätte, wenn seine Frau und sein Schwager ihn nicht in so ernste finanzielle Schwierigkeiten gebracht hätten. Er gehörte jedoch zu der Sorte von Menschen, die ich nicht ausstehen kann, zu den Leuten, die sich uneingeschränkt und hemmungslos anderen anvertrauen. Ich weiß nicht, ob er nur mir gegenüber ein so ungewöhnliches Vertrauen an den Tag legte – wahrscheinlich nicht, denn bestimmte Dinge kommen einem einfach nicht über die Lippen. Er aber sagte alles, mir drehte sich manchmal der Magen um. Zum Glück war die »Perle der Nacht« groß: achtundzwanzigtausend Tonnen tote Masse, Platz genug, sich zu verstecken.
    Sie können sich wohl denken, daß dies mein erster und letzter Flug für Le Mans war. Seitdem habe ich mich nicht mehr so übertölpeln lassen, obwohl ich noch manchmal in der Klemme saß. Ich hätte über diese – immerhin recht peinliche – Episode nicht gesprochen, wenn nicht ein Zusammenhang mit jener anderen, nicht existierenden Seite der Kosmonautik bestünde. Sie erinnern sich vielleicht: Ich warnte Sie einleitend, daß dies beinahe eine ähnliche Geschichte sein würde wie die aus dem erwähnten Buch.
    Die Meteoritenwarnung erhielten wir auf der Höhe der Umlaufbahn der Venus, aber der Funker hatte geschlafen oder sie einfach nicht aufgenommen, jedenfalls vernahm ich die Neuigkeit erst am nächsten Morgen in den Nachrichten, die von der Kosmolotionsstation der Luna ausgestrahlt werden. Ehrlich gesagt, die Sache erschien mir im ersten Augenblick unwahrscheinlich. Die Zeit der Drakoniden war längst passe, der Raum sauber, schließlich ziehen die Schwärme regelmäßig, gewiß, der Jupiter

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