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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sie auch schildern, sie sagen stets dasselbe, nämlich daß der Mensch dort nie zu Hause sein wird. Auf der Erde ist alles so zufällig, wie es gerade kommt, ein Baum, eine Wand, ein Garten, man kann das eine gegen das andere auswechseln, hinterm Horizont ist ein anderer Horizont, hinterm Berg – ein Tal. Dort aber ist es ganz anders. Auf der Erde kommt es den Menschen nie in den Sinn, wie schrecklich es ist, daß sich die Sterne nicht bewegen. Selbst wenn du ein Jahr lang mit vollem Schub fliegst, bemerkst du keine Veränderung. Wir fliegen und fahren über die Erde und glauben zu wissen, was das ist – der Raum. Man kann das einfach nicht ausdrücken. Ich erinnere mich noch gut: Als ich einmal von einem Patrouillenflug heimkehrte, lauschte ich irgendwo in der Gegend des Arbiter fernen Gesprächen, man stritt sich, wer zuerst landen dürfe, und ich erblickte zufällig eine andere heimkehrende Rakete. Der gute Mann dachte, er sei allein. Er ließ seine Kiste tanzen wie in einem epileptischen Anfall. Jeder von Ihnen weiß, wie das ist: Nach ein paar Tagen verspürt man eine irrsinnige Lust, etwas zu tun, ganz gleich was, volle Pulle zu geben, irgendwohin zu jagen und herumzukurven, daß einem die Zunge heraushängt ... Früher dachte ich, das sei unanständig, der Mensch solle sich nicht so gehenlassen. Doch im Grunde ist das nur Verzweiflung, nur der Wunsch, dem Kosmos ... die Zunge rauszustrecken. Denn er ist nicht austauschbar wie ein Baum, und deshalb ist es wohl so schwer, mit ihm fertig zu werden. Das ist es, wovon gute Bücher erzählen. Und wie ein Sterbender nicht gerade gern etwas über die Agonie liest, wollen auch wir, die wir doch alle ein bißchen die Sterne fürchten, nicht die Wahrheit über sie hören, wenn wir mitten unter ihnen sind. Wir finden dann alles gut, was uns ein bißchen ablenkt. Für mich jedoch sind jene anderen Sterngeschichten die besten, die Lesebuchgeschichten, denn in ihnen ist alles so bieder, den Kosmos eingeschlossen. Und da es sozusagen eine Biederkeit für Erwachsene ist, gibt es dort Katastrophen und Morde und andere Scheußlichkeiten, aber bieder und unschuldig sind sie trotzdem, denn sie sind von Anfang bis Ende erlogen: sie wollen einem Angst einjagen, aber man lächelt nur mitleidig.
    Das, was ich euch erzählen will, ist so eine Geschichte. Sie ist mir wirklich passiert. Doch das ist unwichtig. Wir hatten gerade ein »Jahr der ruhigen Sonne«. Wie gewöhnlich in solchen Zeiten, fand rings um die Sonne ein großes Reinemachen statt, ein Aufräumen und Ausfegen riesiger Mengen alten Eisenkrams, der auf einer Umlaufbahn um den Merkur dahintrudelte; man hatte in den sechs Jahren, da in seinem Perihel eine große Station errichtet wurde, einen Haufen alter Wracks im All zurückgelassen, denn damals verfuhr man noch nach dem Le-Mans-System und verwendete die Raketenleichen als Gerüste, statt sie zu verschrotten. Le Mans war mehr Ökonom als Ingenieur. Die aus den Wracks gefertigte Station war zwar dreimal so billig, verursachte aber so viele Schwierigkeiten, daß von nun an kein Mensch mehr auf solche »Einsparungen« erpicht war. Doch da kam Le Mans auf eine neue Idee – er wollte diesen Raketenfriedhof auf die Erde zurückschaffen. Wozu sollte er bis zum Jüngsten Gericht dort kreisen, wenn man ihn einschmelzen konnte? Wenn sich das allerdings bezahlt machen sollte, mußten als Schlepper Raketen verwendet werden, die nicht viel besser waren als jene Leichname. Ich war damals Patrouillenpilot und hatte meine Stunden längst abgeflogen, das heißt, eigentlich war ich es nur noch an jedem Ersten, wenn ich mein Gehalt kassierte. Meine Lust zu fliegen war jedoch so groß, daß ich selbst mit einem eisernen Ofen einverstanden gewesen wäre, hätte sich sein bißchen Zug in Schub umsetzen lassen.
    Kein Wunder also, daß ich mich in Le Mans’ brasilianischem Büro meldete, kaum daß ich seine Annonce gelesen hatte. Ich möchte hier nicht behaupten, daß die von Le Mans oder vielmehr von seinen Agenten angeheuerten Besatzungen eine Art Fremdenlegion gewesen wären oder eine Ansammlung von Strolchen, denn solche Leute fliegen überhaupt nicht. Aber heutzutage begibt man sich kaum noch in den Kosmos, um Abenteuer zu suchen. Dort gibt es keine Abenteuer mehr, wenigstens nicht im allgemeinen. Man entschließt sich also dazu wegen irgendeines Unglücks oder einfach so, aus purer Laune. Solche Leute sind das schlechteste Material, denn dieser Dienst verlangt mehr Standfestigkeit als

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