Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
regelrecht Gewalt antun, um wenigstens für einen kurzen Augenblick dämonische Sternenwesen in seiner Phantasie unterzubringen.
    Von Zeit zu Zeit, wenn ihn trotz der fehlenden Schwerkraft die ständig gleiche Körperhaltung zu ermüden begann, veränderte er die Neigung des Sessels, an den er gefesselt war, sah mal nach rechts, mal nach links, wobei er, was vielleicht sonderbar erscheinen mag, die dreihundertelf Zeiger, Kontrollämpchen, pulsierenden Scheiben und Uhren gar nicht bemerkte, denn sie waren für ihn das, was für einen normalen Sterblichen die Züge eines vertrauten Gesichts sind – man kennt es so gut und so lange, daß man nicht erst zu beobachten braucht, wie sich darin der Mund verzieht oder die Lider öffnen, und man muß nicht erst auf der Stirn nach Falten suchen, um zu wissen, was es ausdrückt. Genauso verschmolzen also die Uhren und Kontrollämpchen vor Pirxens Augen zu einem Ganzen, das ihm sagte, daß alles in Ordnung sei. Als er dann den Kopf wieder nach vorn wandte, erblickte er die beiden vorderen Sternenbildschirme und dazwischen sein eigenes Gesicht, das von dem bauchigen, teilweise Stirn und Kinn bedeckenden gelben Helm eingerahmt war.
    Zwischen den beiden Bildschirmen befand sich ein Spiegel, nicht allzu groß, aber so angebracht, daß der Pilot darin nur sich selbst sah, sonst nichts. Man wußte nicht recht, wozu dieses Ding eigentlich da war. Das heißt, man wußte es schon, aber die klugen Argumente, die für das Vorhandensein besagten Spiegels sprachen, überzeugten kaum jemanden. Er war eine Erfindung der Psychologen. Der Mensch, so behaupteten sie, obgleich das ziemlich merkwürdig klingt, hört manchmal auf, seine geistige und seelische Verfassung zu überwachen, vor allem wenn er längere Zeit in der Einsamkeit zubringt. In solchen Situationen kann es mir nichts, dir nichts passieren, daß er in eine gewisse hypnotische Starre gerät oder offenen Auges in einen traumlosen Schlaf versinkt, aus dem er nicht immer rechtzeitig erwacht. Andere wiederum fallen mitunter Gott weiß woher kommenden Sinnestäuschungen oder Angstzuständen zum Opfer oder geraten in einen heftigen Erregungszustand – und ein probates Mittel gegen all diese Anwandlungen bestehe in der Kontrolle der eigenen Physiognomie. Daß es nicht gerade angenehm war, sein eigenes Gesicht viele Stunden lang wie eingemauert vor sich zu haben und notgedrungen jeden Ausdruck darin verfolgen zu müssen, stand auf einem anderen Blatt. Aber davon wußte kaum jemand, außer den Piloten der Patrouillenraketen. Meistens fing so etwas ganz harmlos an: Man verzog leicht das Gesicht, lächelte seinem eigenen Spiegelbild zu, schnitt eine Fratze, und dann folgten Schlag auf Schlag immer scheußlichere Grimassen. So geht es einem, wenn sich eine derart widernatürliche Situation über Gebühr in die Länge zieht.
    Pirx machte sich zum Glück herzlich wenig aus seinem Äußeren, im Gegensatz zu anderen. Zwar hatte es niemand nachgeprüft – dies war einfach nicht möglich –, aber man erzählte sich, daß manche in einem Anfall von Stumpfsinn und Verblödung, die jedes schickliche Maß überstieg, schwer wiederzugebende Sachen anstellten – sie spuckten zum Beispiel ihr Spiegelbild an, und wenn die Scham sie packte, mußten sie natürlich etwas tun, was strengstens untersagt war, nämlich die Gurte abschnallen, aufstehen und in der Schwerelosigkeit zum Spiegel laufen oder vielmehr schwimmen, um ihn vor der Landung noch einigermaßen sauberzukriegen. Manche behaupten sogar steif und fest, daß dem Piloten Würtz, der seine Rakete dreiunddreißig Meter tief in die Betonplatte des Landeplatzes gewuchtet hatte, nur zu spät eingefallen wäre, rechtzeitig den Spiegel abzuwischen – er hätte diese Arbeit erst in Angriff genommen, als er sich schon in der Atmosphäre befand.
    Pilot Pirx hatte so etwas noch nie getan; er hatte, was wichtiger war, auch nie die geringste Versuchung gespürt, den Spiegel anzuspucken, obwohl der feste Vorsatz, dieser Anfechtung zu trotzen, angeblich zu heftigen inneren Kämpfen führen konnte, was nur den lächerlich anmutete, der noch nie mutterseelenallein auf Patrouille war. Pirx hatte es bisher noch immer, selbst während der gräßlichsten Langeweile, fertiggebracht, schließlich doch noch etwas auszuknobeln, und um dieses Etwas wickelte er dann alle anderen verworrenen und unklaren Gefühle und Gedanken, wie einen langen, verfilzten Faden um einen harten Bolzen.
    Die Uhr – der gewöhnliche

Weitere Kostenlose Bücher