Pilot Pirx
so etwas konnte es gar nicht geben – wenn es nun das Licht eines fremden, eines außerirdischen Raumschiffes war? Der Lichtfleck rückte wieder merklich näher, drosselte die Geschwindigkeit, nun lag er 60, 50, 30 Kilometer vor ihm. Pirx erhöhte ein wenig den Schub und war verblüfft, wie ruckartig der Fleck zunahm – er war wieder ganz nahe und hing ihm in zwei Kilometer Entfernung vor dem Bug.
Auf der anderen Sesselseite steckte in einer Tasche ein Fernrohr, ein Nachtglas mit vierundzwanzigfacher Vergrößerung. Es wurde nur in Ausnahmefällen benutzt, bei defektem Radarschirm zum Beispiel oder wenn man sich an einen Satelliten von der dunklen Seite heranpirschen mußte. Jetzt leistete es ihm gute Dienste. Die Vergrößerung war so stark, daß er den Punkt knapp hundert Meter vor sich hatte. Es war eine kleine Scheibe, weiß wie Milch, aber auch wäßrig wie Milch, kleiner als die Mondscheibe, von der Erde aus gesehen. Dunkle senkrechte Streifen glitten darüber hinweg. Wenn das Gebilde die Sterne verdeckte, verschwanden diese nicht sofort, sondern erst nach einer Weile, als sei der Rand der Scheibe etwas dünnflächiger und poröser als das Mittelstück.
Aber rund um die Scheibe verhüllte nichts das Licht der Sterne. Pirx hätte mit diesem Fernrohr ein Objekt von der Größe einer Schublade auf hundert Meter Entfernung ausgemacht. Aber es war nichts zu sehen. Nicht die Spur von einem Raumschiff. Die kleine Scheibe war weder ein Positions- noch ein Hecklicht. Ganz bestimmt nicht.
Sie war ganz einfach ein selbständig fliegender weißer Lichtfleck.
Es war zum Verrücktwerden.
Pirx hatte das unwiderstehliche Verlangen, auf den Milchfleck zu schießen. Das wäre nicht leicht zu bewerkstelligen gewesen, denn die AMU 111 hatte keinerlei Waffen an Bord. Die Dienstordnung sah den Gebrauch von Waffen nicht vor, und Pirx besaß nur zwei Dinge, die er aus der Kabine abfeuern konnte: sich selbst und eine kleine Ballonsonde. Die Patrouillenschiffe waren so gebaut, daß sich der Pilot in einer hermetisch abgeschlossenen Schutzkapsel herauskatapultieren konnte. Er tat das nur im Ernstfall, und natürlich hatte er, wenn er sich einmal aus der Rakete geschleudert hatte, keine Möglichkeit mehr, zu ihr zurückzukehren. Blieb also nur die Ballonsonde, eine sehr simple Konstruktion: ein dünnwandiger, leerer Gummiballon, so fest zusammengerollt, daß er einem Speer ähnelte. Er war mit einer Aluminiumlegierung überzogen, damit man ihn gut erkennen konnte, Mitunter war kein rechter Verlaß auf die Angaben des Aerodynameters, und man wußte nicht, ob man schon im Begriff war, in die Atmosphäre des Planeten einzutreten. Der Pilot mußte schließlich wissen – das war das Allerwichtigste –, ob das verdünnte Gas sich direkt vor ihm ausbreitete, dort, wohin er flog. Deshalb warf er den Ballon ab, der sich automatisch füllte und mit einer Geschwindigkeit bewegte, die etwas über der des Raumschiffs lag. Selbst aus fünf, ja aus sechs Kilometern sah man ihn als kleinen hellen Fleck. Geriet er in ein Gas, es mochte noch so dünn sein, dann erhitzte er sich durch die Reibung und platzte. Das war für den Piloten das Zeichen, daß er mit dem Bremsmanöver beginnen mußte. Pirx bemühte sich, den Bug auf die verschwommene kleine Scheibe zu richten. Messungen mit dem Radarschirm konnte er nicht vornehmen, also benutzte er den optischen Sucher.
Einen so kleinen Körper aus beinahe zwei Kilometern zu treffen, war ungemein schwierig. Dennoch versuchte er es, aber das Scheibchen entzog sich seinem Beschuß. Sooft er sich auch bemühte, den Bug der AMU durch ein leichtes Manöver mit der Wendedüse auszurichten, jedesmal rutschte die Scheibe seelenruhig zur Seite und tauchte dann plötzlich abermals vor ihm auf – mitten auf dem linken Bildschirm. Diesen Trick wandte sie viermal hintereinander an, von Mal zu Mal etwas schneller, als wenn sie seine Absicht immer besser durchschaute. Sie wünschte es offenbar nicht, daß der Bug der AMU sie direkt anvisierte, deshalb flog sie mit minimaler seitlicher Abweichung.
Es mutete geradezu phantastisch an: Um die winzige Drehung seines Bugs aus zwei Kilometer Entfernung zu registrieren, hätte die Scheibe über ein gigantisches Teleskop verfügen müssen, von dem allerdings nichts zu entdecken war. Dennoch erfolgten ihre Ausweichmanöver mit einer Verzögerung von höchstens einer halben Sekunde.
Pirx’ Erregung nahm zu. Er hatte nun alles getan, was in seinen Kräften stand, um dieses
Weitere Kostenlose Bücher