Pinguine lieben nur einmal
entschuldigt. Dass dieser Junge keine Manieren hat, ist nicht deine Schuld. Cem hat recht, er hätte euch auf ein Stück Kuchen einladen sollen.«
»Hat Cem dir nicht erzählt, dass er gerade Fastenzeit hat?«
»Ah! Apropos. Fastenzeit würde dir auch mal ganz gut stehen. Wolltest du ihn nicht dabei unterstützen?«
Als ich noch zu Hause gewohnt habe, sagte sie immer Sachen wie »Wolltest du nicht was zu trinken holen?« oder »Könntest du mal den Staubsauger mitbringen?«. Sie vergaß dabei immer, dass mir die Modalverben wollen und können die Entscheidung offen ließen, mit ja oder nein zu antworten. Aber wehe, ich habe nein gesagt. Mama benutzt das Verb wollen als Synonym für »ich befehle dir«.
Als ich mich widerwillig mit »Ja, vielleicht« der Frage entwinde, widmet sie sich anderem Tratsch. Ich schalte auf Durchzug und kommentiere nur hier und da mit »Mhm« oder »Mhm, richtig« oder »Mhm, stimmt schon« oder »Mhm, ja«.
ENTSCHULDIGUNG SAGEN, KLAPPE DIE ZWEITE
Dass ich seinen Namen nicht weiß, macht das Grübeln über meinen neuen Nachbarn nicht besser. Ich versuche jedoch, ihn unter keinen Umständen mit irgendeiner Substantivierung des Wortes blind zu betiteln, weil ich das abwertend finde und nicht will, dass mich jemand als behindertenhassende oder diskriminierende Person beschimpft. Weil ich das nun mal nicht bin. Nichts davon und auch sonst nichts Faschistisches. Also bitte. Mein Mitbewohner ist ein schwuler Türke, der Frauenarzt werden will! Das zeugt doch von einer sehr liberalen Lebenseinstellung, oder?
Am Samstag komme ich mit Sophie und unserer gemeinsamen Freundin Kirsten von meinem Wocheneinkauf zurück. Die beiden haben mich begleitet, weil wir heute Abend zusammen kochen wollen. Ich habe ihnen soeben eine Geschichte aus meiner Schulvergangenheit erzählt und versucht in Worte zu fassen, wie sie mit meinen jüngsten Erfahrungen mit unserem neuen Nachbarn verzahnt ist.
»Es ist schon ein bisschen klischeemäßig, dass er dich angemeckert hat, weil du das Wort sehen verwendet hast, oder?«, fragt Kirsten und nimmt mir die Tragetasche ab, während ich in meiner Handtasche nach dem Hausschlüssel krame. Kirsten ist ein ziemlich intelligenter Mensch, sie kombiniert gut und stellt an den richtigen Stellen die richtigen Fragen. »Er muss doch wissen, dass er damit den Menschen in seiner Umgebung Unbehagen bereitet!«
»Ja, vielleicht. Aber… es ist doch auch irgendwie scheiße.«
»Schon, trotzdem muss er das nicht an dir auslassen«, wirft Sophie ein.
»Die Menschen sind nun mal empfindlich. Entweder weil man sie mit Samthandschuhen anfasst oder weil man sie eben normal behandelt. Manche meinen auch, es mache sie zu einer erhabeneren Person, wenn sie jedem schlechte Absichten unterstellen.« Ich finde eine beruhigende Wahrheit in Kirstens Worten. Das ist eine ihrer Gaben. Egal wie scheiße man sich fühlt– ein Gespräch mit ihr, und sie schafft es, die Sachlage aus einer ganz anderen, klareren und positiveren Perspektive zu beleuchten.
»Warum grübelst du eigentlich immer noch darüber?«, fragt Sophie berechtigterweise.
Ich entziehe mich einer Antwort, indem ich den mittlerweile gefundenen Schlüssel ins Schloss stecke, aufschließe und die Tür mit dem Hintern aufdrücke.
»Grüß dich, Feli«, höre ich hinter mir eine bekannte Stimme.
Simon hält mir die Tür auf und winkt uns ins Haus.
»Ähm, hallo.« Seine Freundlichkeit erschlägt mich fast ein bisschen. Wie schafft er es nur immer, so ungezwungen rüberzukommen?
Er trägt ein T-Shirt, verwaschene Jeans und eine Jacke über dem Arm, er sieht sportlich und gut aus. Wirklich ein bisschen wie ein Werbemodel für Zahncreme oder andere Pflegeprodukte. Simon ist groß, schlank, dunkelblond und hat einen von diesen Beatles-nur-cooler-Haarschnitten, die bei Frauen meist Fantasien von Händehineinkrallen auslösen. Auch bei mir, das möchte ich nicht bestreiten. Kurz: Simon ist einer von diesen smarten Typen, die alle Mädchen gerne heiraten möchten, die von mir aber rein gar nichts wollen.
Vielleicht sollte ich weniger Gedanken an unsere Haar-Hände-Kompatibilität verschwenden und besser versuchen, mit seiner Hilfe mehr über den noch Namenlosen herauszufinden. Aber ich traue mich nicht.
»Hallo, Simon«, sage ich noch mal, damit er merkt, dass ich mich noch an ihn erinnere. »Ähm, das hier ist Sophie, und das ist Kirsten.«
»Oh, ihr habt wohl eine Shoppingtour gemacht?«
Wir nicken. Wir wechseln einen
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