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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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In seinem VW Phaeton samt Sitzheizung und funktionierendem Anlasser.«
    »Mit zwölf Stunden kommst du nicht aus.« Wegener betrachtete den Toten, der sich jetzt leicht im Wind bewegte. Das Rauschen in den Baumkronen war stärker geworden. Ein fliegendes Ozeangetöse. Blätter schwebten durchs Strahlerlicht wie große goldene Schneeflocken. »Wer schafft mehr Würste? Lafontaine oder Achtung Krenz?«
    »Guck dir Achtung an, das Beuteltier. Im Wurstwettfressen zieht der jeden ab.«
    »Das gibt sechs Monate, Sascha.«
    »Beuteltier hab ich gesagt, nicht Sack voll Speck. Beuteltier gibt nur drei.«
    Wegener drehte sich um und starrte in die Dunkelheit, spürte plötzlich, dass da noch jemand war, irgendwer, der ihn im Blick hatte, der alles beobachtete. Der an einem Eichenstamm lehnte, mit Nachtsichtgerät und Richtmikrofon. Der viel erzählen konnte über das Wenige, was hier in den letzten Stunden passiert war, und der sich nur noch wünschte, dass dieser Suchtrupp endlich fertig würde mit seiner sinnlosen Jagd nach Spuren, die es nicht gab, weil sie längst entfernt worden waren. Damit auch der Beobachter der Beobachter endlich nach Hause gehen durfte.
    Ich kann euch riechen, dachte Wegener, ihr Spitzel, hinter euren Büschen und Mauern und Maskeraden, wenn ich mich auf irgendwas verlassen kann, dann auf meine Nase, ihr stinkt mir, Brüder, von den Dachböden, aus den Kellerverschlägen, hinter Müllcontainern, ich wittere eure Zigarettenstummel, eure Wanzen, eure Teleobjektive, eure Selbstgewissheit, die vor allem.
    Wegener starrte immer noch.
    Lienecke und der eckige Gerichtsmediziner sahen ihn an.
    Niemand sagte was.
    Blätterrauschen und Generatorbrummen, sonst nichts. Wer immer da gestanden hatte, jetzt zog er sich zurück, geräuschlos, unsichtbar. Das wäre der Moment, den Vopos in die Ärsche zu treten, dachte Wegener, mit Taschenlampen in den Stadtforst zu rennen, bis sich vielleicht von irgendeinem Baumstamm der flüchtende Schatten lösen würde, den man ohnehin nie erwischte, aber von dem man dann wenigstens wüsste, dass es ihn wirklich gab. Einer von Lieneckes Männern rief etwas, bückte sich, kniete im Laub. Lienecke setzte seine Brille auf und stieg über das flatternde Band.
    »Der deutsche Wald«, sagte Jocicz, »ist genau so lang ein Quell der Freude, bis man ihn nach Fingerabdrücken durchsuchen muss.«
    Wegener trat an das Absperrband. »Was dagegen, wenn ich mir Ihre Arbeit aus der Nähe angucke?«
    »Bei Josef Früchtl gelernt?«
    »Zum Glück.«
    »Dann kann ich wohl nicht nein sagen.«
    »Nein«, sagte Wegener, »können Sie nicht.«
    Jocicz zupfte an seinem Schutzanzug. »Im Koffer ist noch einer.«
    Jetzt wurden auch die vier Strahler auf der anderen Seite der Pipeline neu ausgerichtet. Der Tote hing plötzlich im Gegenlicht, die Röhre war ein schmutziger Wulst aus gebogenem Blech, Schweißnähten und dicken Schraubenmuttern. Aufgeschreckte Falter kreiselten durch die Tageshelligkeit, noch einmal lebendig, morgen holt euch der kalte Herbst im Schlaf von euren Ästen, dachte Wegener und stieg in den viel zu großen Kunststoffanzug. Die Vopos drehten sich weg, rauchten weiter in die Dunkelheit.
    Jocicz wartete am Absperrband. Der Anblick eines Hauptmanns in Frischhaltefolie machte das Kantengesicht ein wenig runder. Jocicz stiefelte los, Wegener folgte ihm über den gesäuberten Boden, im Halbkreis um den rechten Betonpfeiler der Pipeline. Mit jedem Schritt wurde ein bisschen mehr von dem Erhängten sichtbar, der sich seinen Besuchern nun zögerlich zuwandte, bis er schließlich ein faltiges Wachsgesicht zeigte, krumme Schnabelnase, buschige Brauen, weißer Kinnbart. Jocicz blieb vor dem Toten stehen und leuchtete ihn Zentimeter für Zentimeter mit der Taschenlampe ab. Schob die Hosenbeine hoch und untersuchte die blassen, haarigen Waden. Drückte seinen Handschuhdaumen in das fahle Fleisch. Fotografierte die leicht gekrümmten Hände, die verfärbten Nägel, die Gelenke. Betrachtete die ausgelatschten Schuhe mit den zusammengebundenen Schnürsenkeln, fotografierte sie und sagte nichts. Seine Bewegungen hatten alles Zackige verloren. Wie eine Katze schlich er um den schlaffen Körper, machte sich Notizen, stieg auf eine Leiter, befingerte den Leichenhinterkopf, die grauen Haare, das erstaunte Gesicht, leuchtete mit seiner Taschenlampe in die toten Augen, kam wieder herunter.
    Wegener sah zu. Als Jocicz fertig war, saßen die Silhouetten der beiden Vopos reglos im Wagen, Köpfe auf der

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