Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
Vom Netzwerk:
ignorieren, und stellte sich das Gespräch vor, das die K5-ler demnächst mit ihm führen würden, Eiertanz inklusive. Der Verdacht, dass es sich bei der Ermordung des Pipeline-Toten nicht um ein Privatvergnügen gehandelt hatte, hing so unübersehbar in der Luft wie die GOLDKRONE-Leuchtreklame am Alex, die ungeheuerliche Befürchtung, die nie gedacht werden durfte, jetzt war sie in meterhohen Neon-Versalien buchstabiert, blinkte abwechselnd rot und grün, wegsehen unmöglich. Also würden die Herren mit wohldosierten Beerdigungsgesichtern auf Borgs’ blau gepolsterten Büroschemeln hocken und auswendig gelernte Dienstanweisungen herunterleiern, von der nagenden Angst getrieben, bloß keinen verständlichen Satz zu sagen. Die Sprache der Sprachlosigkeit, Kommunikationskompetenz Ost. Und alle würden sie immer wieder auf Borgs schielen. Und Borgs würde in seiner Fensternische thronen wie ein satter Mönch, die Hände vor dem Kugelbauch gefaltet, scheinbar schlafend, zumindest dauerhaft verstummt.
    Wegener hatte Borgs zwei Mal in so einer Zuständigkeits-Bredouille erlebt, beide Male Fälle von Vorbereitungshandlungen versuchter Republikflucht. Beide Male durch Unfälle mit Todesfolge vor Tatausführung beendet. Beide Male war Borgs in den Besprechungen mit den Sonderabteilungen zum schweigenden Klosterbruder geworden, hatte die Männer in den grauen Anzügen reden lassen, hatte den hilflosen Bandwurmsätzen und den verklausulierten Andeutungen gelauscht und nichts gesagt. Namenlose Oberste lieferten den K5-lern Ermittlungsergebnisse, überreichten Befunde, klappten Aktendeckel zu. Uralte Spiele nach nie geänderten Regeln. Am Ende hatte Borgs die ganze Bagage mit nichts als seinem freundlichen Doggengesicht hinauskomplimentiert. Ohne einen einzigen Satz gebellt zu haben.
    Walter, du hast dich ordentlich hochgeschwiegen, dachte Wegener und stellte das heiße Wasser ab. Den Mund halten zu können ist die wahre Kunst eines Dezernatsleiters. Dann sah er die Zecke an seiner rechten Wade. Eine kleine, schwarze Kugel, die gerade die erste und letzte Dusche ihres Parasitenlebens genommen hatte.
    *
    Der abgewetzte Schachbrettboden der Präsidiumsflure verführte Wegener immer noch dazu, seine Schrittlänge dem Muster anzupassen. Er versuchte, die Fußspitzen exakt an der Kante eines Quadrats aufzusetzen, was zu einem altbekannten Problem führt e – Schritte von der Länge eines Quadrats waren zu kurz, Schritte über zwei Quadrate zu lang. Trippeln oder Schreiten, hießen die Alternativen. Wegener war nach Schreiten. Wann hatte man schon mal eine Ermittlung, die man gleich am ersten Tag auf die Spezialisten abwälzen konnte. Mit übergroßen Schritten ging er auf Borgs’ Vorzimmer zu und feierte den ersten Sieg des Tages: Die Spitze des linken Schuhs setzte an der Linie des letzten Quadrats auf und berührte gleichzeitig die Tür. Touché.
    Christa Gerdes machte sich nicht die Mühe, vom Monitor aufzusehen, hackte stattdessen lieber Zahlen in ihren alten Robotron Kappa, dass der pelzmützenartige Frisurturm wippte, klappte nur kurz einen hageren Arm aus, der faltige Wegweiser in Richtung geradedurch. Frauen sind Holzdielen unter einem undichten Dach, hörte Wegener Früchtl raunen, klopfte an die offene Tür und sah sofort, dass er richtig getippt hatte: Der Schreibtisch in der Fensternische war bedeckt mit Fotos der Pipeline, des Waldbodens, des Seils, des verbeulten Wagendachs und eines Gesichts, das im gelblichen Licht der Leselampe irgendwie lebendiger aussah als vor ein paar Stunden im Stadtforst.
    Wegener holte tief Luft und betrat die Chefhöhle, die Dunkelkammer, den Räucherofen, wie auch immer dieses vergilbte Zimmer genannt wurde, alles traf zu, hier dauerte keine Besprechung länger als fünfzehn Minuten.
    »Martin.« Borgs zerquetschte seinen Zigarillostumpen in einer kleinen Pappschale. Der Ärger über den Pipeline-Mord hing ihm aus dem runden Gesicht, eine IFA-Ladung Unannehmlichkeiten rollte gerade auf seine Abteilung zu, dabei hätte alles so schön sein können, ein ruhiger Oktobermorgen, ganz ohne alte, nach bizarren Ritualen erhängte Männer. »Noch vier Wochen bis zu den Konsultationen, Martin. Und dann so was.«
    »Wir scheinen die Gas-Devisen dringend nötig zu haben.« Wegener drückte die Tür ins Schloss und deutete auf die dampfende Pappschale, »wenn uns jetzt schon die Aschenbecher ausgehen.«
    »Meine Christa«, sagte Borgs stolz und sank in den Stuhl zurück. »Wenn sie zerstört, dann

Weitere Kostenlose Bücher