Polt - die Klassiker in einem Band
erst unflätig beschimpft und wüst verleumdet, mit dem Umbringen bedroht und ihn dann auch noch tätlich angegriffen. Swoboda hat das alles ganz eifrig bezeugt, und keiner der feinen Gäste widersprach. Die wollten einfach ihre Ruhe haben. Damit war Richie dran: Rauschgift, unerlaubter Waffenbesitz – so ein Schmetterlingsmesser – und auch noch Körperverletzung. Der Hahn war nämlich zum Amtsarzt gegangen, hatte ihm blaue Flecken gezeigt und eine kleine, offene Wunde, die sich dieses raffinierte Aas selbst zugefügt hat. Drei Monate hat mein Bruder noch abzusitzen, und dabei lernt er ganz bestimmt den Rest, den er braucht, um sich endgültig kaputtzumachen. Nach der Gerichtsverhandlung habe ich mir geschworen, dafür zu sorgen, daß dieser Hahn nicht mehr allzuviel Freude an seinem miesen Leben hat. Es war erst der Anfang. Wir wollten ihn abfangen, irgendwo im Dunkeln, und dann, mein Freund! Einen Sack über den Kopf, damit er keinen von uns erkennt, dann Prügel, bis er eine Weile liegenbleibt und bis sich der Besuch beim Amtsarzt wirklich auszahlt.“
„Angenommen, er wäre für immer liegengeblieben?“
„Wär auch nicht die schlechteste Lösung gewesen!“ Mike grinste wieder. „Aber da war eben jemand schneller als wir. Und schlauer.“
„Allem Anschein nach war es ein Unfall“, sagte Polt ohne besondere Überzeugungskraft.
„Mir auch recht.“ Mike deutete mit dem Daumen auf den Beifahrersitz. „Wie wär’s mit einer Rückkehr in die Zivilisation?“
„Recht so.“ Polt bestieg ohne erkennbare Grazie das Motorrad. „Kommst du noch mit zum Franzgreis, auf einen Schluck?“
„O. k.“
Minuten später betraten die beiden einträchtig das Wirtshaus. Franzgreis warf ihnen einen erstaunten Blick zu, schaute dann aber wieder so drein wie immer. „Was soll’s denn sein?“ Er wischte mit einem karierten Geschirrtuch über die Schank.
„Ein Bier bitte“, sagte Polt, „ein großes, dringend.“
„Ein Coke“, ergänzte Mike und fügte erklärend hinzu: „Alk’ verträgt sich nicht mit Motorradfahren.“
„So sieht es das Auge des Gesetzes gerne“, schmunzelte Polt anerkennend und griff nach seinem Bier.
In Höllenbauers Keller
Ein paar Tage später kam Simon Polt abends vom Dienst nach Hause und wunderte sich über den jungen langhaarigen Maurer, der an der Hausmauer herumschabte. Als er näher kam, sah er, daß in den alten Jeans und der weiten Arbeitsjacke Erika steckte, die junge Höllenbäuerin. „Hallo Simon!“ sagte sie und schabte emsig weiter. „Dem Maurer fehlt die Geduld für so eine Arbeit. Aber mich freut’s, wenn das Haus wieder so wird, wie es war.“
Seit Monaten waren die zwei Höllenbauern mit Feuereifer daran, den ererbten Hof von allen Scheußlichkeiten zu befreien, die man sich im blinden Modernisierungseifer der 60er Jahre eingebildet hatte. „Übrigens läßt dir der Ernstl sagen, daß er im Keller ist, weil Kundschaft kommt. Wenn du Lust hast …?“
Simon Polt hatte sogar sehr große Lust. Der Höllenbauerkeller war für ihn ein dunkler Himmel unter der Erde, auch wenn der Pfarrer diese Einschätzung aus theologischen Gründen nicht so recht teilen wollte. Der Gendarm außer Dienst holte also sein schwarzes Fahrrad hervor und machte sich zielstrebig auf den Weg in die Burgheimer Kellergasse. Normalerweise stieg er ab, sobald der Weg steiler wurde, und schob das Fahrrad neben sich her. Diesmal hinderte ihn allerdings drängende Ungeduld daran, und die letzten Meter bis zum Ziel trat er sogar stehend in die Pedale. Rotköpfig und außer Atem, aber frohen Sinnes strebte er der Kellertür zu, die sich neben dem großen Preßhaus in die Tiefe öffnete.
Eine steile, aus Ziegeln gemauerte Treppe führte nach unten. Simon Polt wußte, daß sie aus 42 Stufen bestand, und jede davon war anders geformt, mit runden Kanten, Buckeln und Gruben, entstanden im vertrauten Dialog mit den Schritten der Kellermänner. Viele Generationen von Höllenbauern waren diesen Stufen kellerwärts gefolgt und hatten sich eine geraume Zeit später von ihnen nach oben helfen lassen. Polt ärgerte sich jedesmal darüber, wenn irgendwelche Fremde diese alten Stufen gedankenlos unter die Füße nahmen, ohne zu spüren, was sie zu erzählen hatten.
Als der Gendarm in der kühlen Tiefe angelangt war, blieb er stehen und schaute sich um: In einem mit Ziegeln gewölbten, ungewöhnlich weiten und hohen Keller reihten sich dicht an dicht gewaltige Holzfässer. Ein kleinerer Seitengang nach
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