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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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Simon, wir sehn uns sicher noch.«
    Er wandte sich zum Gehen, stieg mit seinen Begleitern ins Auto, und als das schwarze Fahrzeug hinter der ersten Biegung verschwunden war, kehrten die Zurückbleibenden mit zögernden Schritten zu ihren Weingläsern zurück.
     
    Der Dienstweg und andere Wege
     
    Simon Polt trank nur noch den kleinen Rest, der in seinem Glas geblieben war. Der Wein schmeckte nicht mehr ganz so kühl und frisch wie noch vor wenigen Minuten, doch der Inspektor genoß das leise Nachklingen dieses letzten kleinen Schluckes, das sich weich und elegisch an den Gaumen schmiegte. »Eigenartig ist es schon«, sagte er langsam. »Da gibt es eine ganze Menge Leute, die dem Albert Hahn zeitlebens alles mögliche heimzahlen wollten. Und jetzt ist er tot, und keiner hat auch nur einen Finger rühren müssen.« Er schaute die beiden Weinbauern nachdenklich an.
    »Ja, so geht’s manchmal eben her«, sagte der Karl, um irgend etwas zu sagen. Plötzlich hatte Simon Polt das Gefühl zu stören, und weil es im Augenblick ohnedies für ihn nichts mehr zu tun gab hier, schob er mit einer abschiednehmenden Geste das Weinglas von sich. »Schönen Tag noch«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel, wandte sich zum Gehen und lenkte wenig später den von der Sonne aufgeheizten Dienstwagen über schmale Fahrbahnen zwischen Weingärten und abgeernteten Feldern.
    Er mochte dieses dicht gesponnene, für Fremde verwirrende Netz von Güterwegen, die erst seit einigen Jahren asphaltiert waren. Auf den Straßen fuhr man aneinander vorbei; kam einem aber auf dem Güterweg ein Fahrzeug entgegen, galt es, vorsichtig auszuweichen, blieb Zeit für das Erkennen eines vertrauten Gesichtes, für einen freundlichen Gruß oder ein paar beiläufige Sätze. Außerdem erwischte der Inspektor hier immer wieder besonders schlaue Trunkenbolde, die auf diesem Wege allfällige Verkehrskontrollen zu umfahren versuchten. Ganz abgesehen davon war die Landschaft dort, wo sie nicht von Mauern verstellt war, unmittelbar und intensiv zu erfahren, zum Greifen nahe: Hügelland, weich und wellig, Hebungen und Senkungen leichthin ineinander verwoben. In dieser Welt, sinnierte Simon Polt, hatte schroffe Willkür einfach keinen Platz, es sei denn, sie wurde von außen hineingetragen. Gerieten die Dinge aber einmal doch aus dem Gleichgewicht, geschah es, weil anfangs spielerisch bewegte Kräfte in Konflikt kamen oder zueinander fanden. Dann brach eben einer jener Stürme aus, die Polt fürchtete: schwer und bedrohlich in ihrer bedächtigen Leidenschaft.
    Ob jemand weinen würde, bei Albert Hahns Begräbnis? Dessen Frau vielleicht, die ja aus irgendeinem Grund bei ihm geblieben war. Erstaunt stellte der Gendarm fest, daß er nicht einmal sagen hätte können, wie ihre Stimme klang, sie hatte ja kaum etwas geredet. Um Himmels willen…, wußte sie überhaupt schon, was passiert war? An der nächsten Wegkreuzung bog er Richtung Brunndorf ab und hielt Minuten später vor einem der häßlichsten Häuser des Dorfes. Albert Hahn hatte den alten, krummen Bauernhof, den er geerbt hatte, aufstocken und glatt verputzen lassen; eine nichtssagende Glastür mit eloxiertem Metallrahmen ersetzte das Hoftor, und aus den grauen Wänden glotzten neue, anmaßend große Fenster. Zwischen Plastik und Mauerwerk sah man noch den fest gewordenen Montageschaum hervorquellen wie dottergelbes Gedärm.
    Der Inspektor klopfte an die Tür, hörte im gleichen Augenblick zorniges Gebell und wenig später Schritte. Frau Hahn öffnete mit einer Hand die Tür, mit der anderen hielt sie einen fetten, rotäugigen Wolfshundmischling am Halsband fest, der hechelnd die Zähne fletschte. Dann ließ sie den Hund los. »Geh«, sagte sie mit scharfer Stimme, und der Köter trottete gesenkten Kopfes und mit eingezogenem Schwanz in eine Ecke des Hofes. »Kommen Sie weiter in die Küche, Inspektor«, fuhr sie gleichmütig fort.
    Simon Polt trat ein, roch den Duft von Rindsuppe, die in einem großen Topf auf dem Herd leicht vor sich hin kochte, und fühlte sich für einen Augenblick fast behaglich. Dann wurde ihm die Kehle eng. »Ihr Mann, liebe Frau Hahn«, begann er und drehte die Dienstmütze zwischen den großen Händen.
    »Ist tot«, unterbrach ihn die blasse, aschblonde Frau. »Nachrichten verbreiten sich rasch auf dem Land, vor allem die guten.«
    »Gut?« entfuhr es dem Inspektor.
    Frau Hahn richtete ihre grauen Augen auf ihn. »Für die meisten vermutlich schon.«
    »Aber für Sie?«
    »Ach was.«

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