Polterabend
seinem Vater findet? Vielleicht braucht er was von ihm?«
»Kann schon sein. Nur so nebenbei: Was war denn da mit der Tochter vom Fürnkranz?«
»Sie hat weggeheiratet, und der Vater will nichts mehr wissen von ihr. Aber mit dem sauberen Herrn Lutzer hat er sich abgegeben bis zum Schluß.«
»Wie soll denn das zusammenhängen?«
»Da fragen S’ besser die Karin Walter, lieber Herr Polt. Freude wird sie keine haben an diesem Gespräch. Aber sie war nun einmal die beste Freundin von der Monika. Und ich trau mich wetten, daß sie nicht einmal weiß, wo sie heute lebt.«
»Werd ich halt fragen. Nächste Woche ist die Karin ja zurück, die Schule fängt wieder an. Und ich geh dann. Danke für die Zeit und für den Wein.«
Frau Hahn hob mit unsicherer Hand ihr Glas. »Immer höflich, der Simon Polt! Handkuß bekomm ich keinen?«
»Ich war nie in der Tanzschule.«
»Und sonst bekomm ich auch keinen?«
»Keinen was?«
»Kuß!«
Polt stand hastig auf. »Wissen S’ was, Frau Hahn, haben S’ mich gern!«
Frau Hahn lächelte vergnügt. »Aber ja...«
Allein
Nachdenklich legte Simon Polt nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag den Weg von Brunndorf nach Burgheim zu Fuß zurück. In seiner kleinen Wohnung im Hof des Höllenbauern angekommen, warf er einen Blick in den fast leeren Kühlschrank, aß im Stehen ein Stück Käse, stellte sich vor das Fenster, schaute aber ins Leere. Dann legte er sich angekleidet für einen kleinen Mittagsschlaf nieder, wachte auf, ging ins Badezimmer, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen, und blätterte danach ohne zu lesen im Illustrierten Heimatblatt.
Es war ziemlich neu für ihn, daß er nichts Rechtes mit sich anzufangen wußte. Er dachte daran, daß doch sehr viele Menschen hier im Wiesbachtal allein lebten. Ob der Wolfinger schon aufgewacht war? Frau Hahn würde ihn mit ein paar anzüglichen Bemerkungen ins Freie befördern. Oder die zwei fingen wieder an, miteinander zu trinken.
Wahrscheinlich waren Vater und Sohn Fürnkranz mit ihrer Arbeit im Weingarten für heute fertig. Dann saß der Martin vermutlich vor dem Computer und der Karl Fürnkranz im Keller oder zwischen seinen vielen Büchern.
Das seltsame Leben des Bruno Bartl kam Polt in den Sinn. Viele hatten über den trinkfreudigen Sonderling abschätzig geredet, aber fast alle hatten den Bartl ganz gut leiden können, und wenige, die mehr von ihm wußten, sprachen sogar mit Respekt von ihm. Warum hatte eigentlich der junge Fürnkranz nach dem Bartl gefragt?
Ja, und die Alten... Polt bewunderte immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihr einsam gewordenes Leben auf sich nahmen. Nach und nach war er auch dahintergekommen, daß sie miteinander zwar lose, doch wirkungsvoll verbunden waren. Das Küchenfenster der alten Frau Reisinger in Brunndorf hatte zum Beispiel sein Gegenüber im Fenster der noch älteren Frau Stirbl. Und beide Frauen achteten Tag für Tag genau darauf, ob die Jalousie zur gewohnten Stunde hochgezogen wurde. Frau Habesam kannte die Lebensgewohnheiten ihrer meist älteren Kundinnen und Kunden gut genug, um beunruhigende Abweichungen zu bemerken.
Die »Kellermänner«, jene nicht mehr aktiven Weinbauern, die gerne den täglichen Weg in die Kellergasse auf sich nahmen, um dann ein, zwei Stunden Zwiesprache mit dem Wein und mit sich selbst zu halten, waren zwar nicht besonders gesellig, doch wenn einer der ihren ausblieb, hielten sie Nachschau.
Aber auch dieser bescheidene Rest der alten Dorfgemeinschaft drohte zu verschwinden. Zwar war die Abwanderung in den letzten Jahren zum Stillstand gekommen, aber immer mehr kleinere Weinbauern brauchten einen Nebenerwerb oder mußten angesichts beschämend niedriger Weinpreise resignieren. Größere Unternehmen gab es im Wiesbachtal nicht. Viele Menschen hier mußten anderswo Arbeit suchen, und an Wochentagen waren die ohnehin schon stillen Dörfer gespenstisch stumm.
Polts Unbehagen verstärkte sich, als er daran dachte, was Grete Hahn über ihn und Karin Walter gesagt hatte. Was verband ihn wirklich mit ihr? Sie liebten einander und sie mochten das Wiesbachtal und die Menschen hier. Aber war das genug für ein gemeinsames Leben?
Czernohorsky war auf Polts Knie gesprungen und wurde unwillig abgeworfen. »Nichts für ungut, Kater, mir ist nicht danach.«
Einen Augenblick dachte Polt daran, einfach die paar Schritte in den vorderen Teil des Hofes zu gehen. Wahrscheinlich waren Ernst Höllenbauer und seine Familie zu Hause, und er
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