Pommes rot-weiß
sehr wünschte ich mir, im Krankenhaus aufgewacht zu sein! Dann hätte mich jetzt eine Schwester sanft zurückgehalten mit dem Hinweis, dass ich dringend Ruhe brauche. Aber hier musste ich alles selbst machen.
Also tappte ich in Schlangenlinien zum Klo, beugte mich über das Waschbecken und hielt das Gesicht in den Wasserstrahl. Das Drehen wurde weniger, wenn es auch nicht ganz aufhörte.
Ich zog meine Jacke aus und warf sie auf den Boden. Um die Flecken würde ich mich später kümmern.
Als ich aus dem Bad trat, wischte ich mir mit meinem T-Shirt das Gesicht trocken.
Auf dem Flur begegnete ich einer Frau.
»Was ist denn hier passiert?«, wollte sie wissen. Entweder hatte sie eine viel zu hohe Stimme oder meine Hörfähigkeit hatte Schaden genommen.
»Kennen wir uns etwa?«, fragte ich zurück.
Sie war Mitte bis Ende zwanzig, hatte rotes, lockiges Haar und eine rötliche Brille. Der dicke, selbst gestrickte Pulli in verwaschenen Regenbogenfarben ließ sie rundlicher erscheinen, als sie war. Insgesamt erinnerte sie mich an eine Freundin, die Henk einmal gehabt hatte. Politisch aktive Langzeitstudentin, die an keiner Demo teilnahm, ohne ihre Gitarre mitzubringen.
»Eine neue Klientin«, informierte sie mich. »Die Tür stand offen, da bin ich einfach rein.«
»Aber ich habe schon einen Klienten. Und außerdem«, ich stützte mich an der Wand ab und wartete mit dem nächsten Schritt, bis der Flur nicht mehr auf dem Kopf stand, »jede Menge Ärger.«
»Ich dachte, vielleicht hören Sie sich meine Geschichte erst an und dann überdenken Sie Ihre Entscheidung noch einmal.«
»Vielleicht später«, wehrte ich müde ab. »Im Moment passt es mir nicht.«
»Aber es ist kein neuer Fall«, beharrte sie. »Es ist genau der Fall, an dem Sie gerade arbeiten. Ihr Klient heißt Guido Martens, stimmt’s?«
Sie ließ sich nicht abwimmeln.
»Ich habe Sie gesehen, als Sie heute Nachmittag sein Haus verließen, und bin Ihnen gefolgt.«
Wahrscheinlich hatte sie erkannt, dass ich ihr zurzeit nicht gewachsen war, und nutzte das eiskalt aus. Das nahm mich nicht gerade für sie ein.
»Na schön, wenn’s unbedingt sein muss«, brummte ich und wankte voraus in Henks Büro. »Nehmen Sie Platz. Leider bin ich noch nicht zum Aufräumen gekommen.«
Sie in sein Zimmer zu bitten war mein letzter Versuch, sie zur Aufgabe zu bewegen. Er schlug fehl.
Die Möchtegern-Klientin hatte offenbar nicht die geringsten Probleme mit dem Chaos. Erst wollte sie auf dem umgekippten Papierkorb Platz nehmen, aber nach einem kurzen Schnüffeln ging sie zum Fenster, öffnete es und setzte sich auf die Fensterbank.
»Denken Sie vielleicht, ich hätte noch nie eine Nacht durchzecht?«, fragte sie verständnisvoll. Dann deutete sie grinsend auf Henks Karnevalsrequisit in der Ecke. »Kann man Sie auch für Kindergeburtstage engagieren?«
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und ließ mich langsam abrutschen, bis ich Grund unter dem Hintern spürte. »Also, worum geht’s?«
»Es geht um die Frage, auf welcher Seite Sie stehen.«
»Ich wüsste nicht, was das mit meinem Fall zu tun haben soll.«
»Martens ist die falsche Seite. Mölling die richtige.«
»Wer ist Mölling?«
»Der Mann, den Ihr sauberer Martens umgebracht hat.«
Ich pfiff durch die Zähne. »Dass er jemanden umgebracht hat, ist mir völlig neu.«
»Um Ihnen das zu sagen, bin ich hier. Sie sollten sich fragen, ob Sie einen heimtückischen Mörder als Klienten haben wollen.«
»Also, erst mal frage ich mich, wer Sie überhaupt sind.«
»Melanie Storck. Ich war mit Marius zusammen.«
»Marius?«
»Marius Mölling, der Ermordete.«
»Und woher wissen Sie, dass Martens ihn ermordet hat?«
Während sie in ihrer Hosentasche kramte, zeigte sie ein so überlegenes Lächeln, dass ich damit rechnete, sie würde mir einen unumstößlichen Beweis präsentieren. Aber es war nur ein Papiertaschentuch.
»Ich weiß es.«
»Aha.«
Melanie entging mein ironischer Ton nicht. Sie warf mir einen schiefen Blick zu. »Man sieht es ihm nicht an, wenn Sie das meinen. Er ist der Typ mit den weißen Handschuhen.«
»Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Martens Handschuhe trägt.«
»Soll das ein Witz sein?«
Mir lief es plötzlich kalt den Rücken herunter. »Ein Witz?! Nein, bloß nicht!«
»Schon gut«, beruhigte sie mich, von meinem Ausbruch irritiert. »Regen Sie sich ab.«
Unten im Hof hatten Kinder ein Fußballspiel begonnen, das durch das offene Fenster direkt übertragen wurde. Vom
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