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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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packte ich ihn an den Füßen und schleppte den Körper zu einer Wand hin, wo er nicht im Weg liegen würde. Seine Glieder waren vollkommen schlaff und ohne Halt. Unter seinen Kopf legte ich Zeitungen, falls er sich übergeben müsste. In dem Moment schlief schon der nächste Alte ein, auf dem Schaukelstuhl sitzend, das Kinn auf der Brust. Der Snus tropfte ihm wie geschmolzene Schokolade über das Hemd. Der jüngere Jäger mit dem Daunenschnurrbart lachte so laut über den blöden Anblick des Alten, dass es ihn schüttelte. Auch ich musste über die Besoffenen kichern, die jetzt in der Rauchstube herum schwankten, miteinander babbelten, sich bekleckerten, wenn sie etwas tranken, auf Strumpfsocken in den Schnee hinaus gingen, mit schielendem Blick sangen, die auf ihren Hintern plumpsten und wie Krokodile zwischen den Flickenteppichen herumkrochen. Der Daunenschnauzer half mir, den Snuskerl hinauszutragen und neben den Ersten auf den Boden zu legen. Die gleiche Prozedur ereilte einen meiner Onkel, der in Bethaltung vor dem Haus erloschen war, er wurde der Dritte in der Reihe. Da lagen sie nun Seite an Seite wie geschlachtete Schweine, und wir mussten bei dem Anblick so laut lachen, dass wir zusammenbrachen. Jetzt tranken wir von dem Fusel, prusteten los, bekamen den Schnaps ins falsche Halsloch und fingen von neuem an zu grölen.
    Dann deutete Vater beunruhigt auf die drei Alten auf der Küchenbank. Sie waren bleich und bewegten sich nicht mehr. Er bat mich doch nachzusehen, ob sie nicht etwa tot seien. Ich ging hin und tastete ihren Puls an ihren blauädrigen Handgelenken. Nichts. Doch, ein schwaches Pochen.
    Niila und Holgeri kamen herein, sie rochen nach Magensäure und zitterten vor Kälte. Sie wollten einen Kaffee, um das eklige Halsbrennen wegzukriegen, und ich reichte ihnen eine Thermoskanne. Gleichzeitig bemerkte ich, dass der Daunenschnauzer plötzlich aufhörte zu lachen. Stattdessen saß er ganz schief auf seinem Stuhl und schnarchte, genauso wie die Alten vorher, über die er sich so lustig gemacht hatte. Er war dabei, zusammenzuklappen, also packte ich ihn unter den Achseln und schleppte ihn zu den anderen, wo er den nächsten Platz in der Reihe einnahm, jung und rotwangig neben den ergrauten Veteranen.
    Jemand wollte ein Taxi, ich zickzackte zum Telefon und bestellte eins. Ein anderer kroch zu mir heran und begann zu kläffen, es hörte sich an wie ein Hund, der an einem Knochen nagt. Erst nach einer ganzen Weile begriff ich, dass er Hilfe haben wollte, um seine Frau anzurufen, die ihn abholen sollte. Ich fragte nach der Telefonnummer, verstand aber nicht, was er darauf antwortete. Stattdessen guckte ich lieber unter seinem Namen im Telefonbuch nach und hielt ihm dann den Hörer ans Ohr. Beim achten Klingelzeichen antwortete seine Alte, die vermutlich schon schlafen gegangen war. Der Mann kämpfte, um sich zu konzentrieren.
    »Ischh ... lisch ... fouhe boffaaa ...«
    Sie schmiss den Hörer auf die Gabel, obwohl sie seine Stimme bestimmt wiedererkannt hatte. Ich selbst merkte langsam, wie der Boden sich drehte, und ging zu Niila. Dieser saß mit halb geschlossenen Augen da, ein rauschendes Transistorradio am Ohr. Er konnte die Stimmen der Toten auf Mittelwelle hören, hatte soeben eine Mitteilung auf Tornedalfinnisch hereinbekommen. Sie klang genau wie seine Tante, die im Herbst gestorben war, eine Stimme, die flüsterte:
    »Paska ... paska ...« und dann geheimnisvoll schwieg. Ich meinte, dass es vielleicht eine lange Schlange vor der Toilette im Himmelreich gäbe, aber Niila hieß mich still sein. Er lauschte mit wirrem Blick.
    »Warte, da ist was anderes!«
    »Ich höre nichts.«
    »Das ist Esperanto! Sie sagt, dass ... warte ... dass ... ich soll sterben .«
    In dem Moment kam das Taxi. Zwei der ausdauerndsten Männer versuchten sich Mäntel anzuziehen und wankten aus der Tür. Ein dritter, äußerst kräftiger Kerl, machte mir in Zeichensprache klar, dass er mitfahren wolle. Ich stützte ihn vorsichtig die Außentreppe hinunter und über den verschneiten Hof. Auf halbem Weg zum Auto stieß er ein lang gezogenes, pferdeähnliches Schnauben aus. Dann sackte sein Körper zusammen, als wäre er punktiert worden. Er fiel der Länge nach hin, die Beine rutschten weg, als wären seine Knochen Knetgummi. Ich versuchte, sein Gewicht oben zu halten, hatte aber keine Chance. Hundert Kilo Mann, ein fallender Sack aus Fleisch und Blut.
    Ich fühlte den Puls. Der Kerl war besinnungslos, vollkommen weggetreten von

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