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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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dieser Welt. Der Körper lag dampfend da wie ein Fleischtopf in der Polarkälte. Das Taxi wartete im Leerlauf, ich packte die Füße und versuchte den Speckhaufen durch den rauen Schnee zu dem Fahrzeug zu ziehen. Das Hemd des Mannes rutschte hoch und bremste. Der Schnee schmolz an seiner Rückenhaut, aber nicht einmal die Kälte weckte ihn auf. Er war schwer wie eine Leiche. Schließlich gab ich auf und winkte dem Taxi zu, das verschwand. Stöhnend zog ich nun den Körper in die andere Richtung, zurück zum Haus. Ich stolperte und ächzte und fühlte, wie mir der Schweiß auf dem Rücken ausbrach. Zentimeter für Zentimeter. Er lebte, ich sah, wie er durch die Nase und den Mund dampfte. Ein dünner, sich ringelnder Atemfaden, der im Lichtschein, der vom Haus drang, aufstieg, in den dunklen Sternenhimmel hinauf.
    Ich war gezwungen, anzuhalten und Luft zu schöpfen. Und genau in dem Moment, als ich den Blick hob, flammte ein Nordlicht auf. Große grüne Fontänen wuchsen empor, schwollen an, Wellen von Meeresleuchten schäumten auf. Schnelle rote Axthiebe, violettes Fleisch, das im Schnitt schimmerte. Die Lichtstärke des Scheins nahm zu, wurde lebhafter. Wogen von Phosphor in schäumendem Mahlstrom. Lange Zeit stand ich still da und genoss das Schauspiel. Plötzlich schien es mir, als erklängen leise Töne von dort oben, wie von einem finnischen Soldatenchor. Die Stimme des Nordlichts. Oder war es das Geräusch des Taxis, das sich in der klirrenden Kälte fortpflanzte? Es war so schön, dass ich auf die Knie fallen wollte. Diese Pracht, all diese Schönheit! Viel zu stark für einen kleinen scheuen und besoffenen Tornedaljungen.
    Jemand riss die Haustür auf. Erkki stolperte zu mir hinaus und öffnete seinen Hosenschlitz. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass ein besoffener Mann zu seinen Füßen lag. Erkki stellte verwundert fest, dass das stimmte, ging ein paar Schritte weiter und fiel hin. Bequem im Schnee ausgestreckt, fummelte er seinen Pimmel heraus und pinkelte da, wo er lag. Erleichtert schloss er die Augen. Ich schimpfte, er solle verdammt noch mal nicht einschlafen, und trat ihm ein wenig Schnee ins Gesicht. Er drohte mir Schläge an, kam dann aber doch auf die Beine. Gemeinsam gelang es uns, den dicken Kerl ins Rauchstubenhaus zu schleppen, wo wir ihn in die beeindruckende Reihe auf dem Boden legten.
    Vater und Großvater saßen bleich am Küchentisch und stammelten, die Alten auf der Küchenbank wären abgekratzt. Ich ging hin und fühlte bei allen dreien den Puls. Die Glatzköpfe hingen in verschiedene Richtungen, die Haut war gelb und wächsern.
    »Ja, sie sind tot«, sagte ich.
    Großvater beschwor all den Behördenkram herauf, der die Folge sein würde, und fing dann an, Rotz und Wasser zu heulen, wie es alte Leute tun, und sich an der Nase zu ziehen, dass es ins Glas tropfte. Vater hielt eine lautstarke Rede über den finnischen Heldentod und erwähnte Selbstmord, Krieg, Herzinfarkt in der Sauna sowie Alkoholvergiftung als die hervorragendsten Beispiele. Und heute Abend hatten also diese drei geschätzten und respektierten Verwandten gleichzeitig beschlossen, Seite an Seite durch das Portal der Ehre zu wandern .
    Der magere Kerl in der Mitte öffnete daraufhin die Augen und forderte mehr Schnaps. Vater brach seine Rede abrupt ab und starrte ihn schweigend an. Großvater streckte sein vollgerotztes Glas hin und sah, wie es mit zitternder Hand geleert wurde. Ich musste so laut über ihre Gesichter lachen, dass ich fast vom Stuhl fiel, und erklärte, dass es erst jetzt ein richtiges Fest war, wo schon die Toten anfingen zu saufen.
    Rundherum in der Rauchstube verbreitete sich Ruhe und Frieden. Auf dem Boden lagen die Kerle der Reihe nach noch genau in der Haltung, wie ich sie hingelegt hatte, eingehüllt in ein traumloses Rauschkoma. Andere krabbelten wie Schildkröten mit zähen, langsamen Bewegungen herum. Niila saß mit dem Rücken zur Wand, ganz grün im Gesicht. Er versuchte sich aufrechtzuhalten und trank ab und zu aus der Kaltwasserkelle. Holgeri lag daneben in Fötusstellung und zuckte immer wieder. Die meisten waren inzwischen verstummt und in sich gekehrt, während die Lebern versuchten, den Körper von den Giften zu reinigen, und die Gehirnzellen wie Fliegenschwärme starben. Erkki wäre fast von seinem Stuhl gefallen, blieb aber mit der Jacke an der Rückenlehne hängen. Ein sehniger, sechzigjähriger Jäger war der Einzige, der sich noch rührte, er stützte sich am Tisch ab und machte mit

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