Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6)
IFIS-Mann folgt mir in den Aufzug und drückt den Knopf für die 55. Etage.
Alle Fotos zeigen den Bürgermeister mit einem immer gleichen Gesichtsausdruck. Mit wissendem Blick und angedeutetem Lächeln steht er hinter einem Rednerpult, pflanzt einen jungen Baum oder hält ein Baby auf dem Arm. Ich entdecke auch das Foto mit der Kuh, das die Vorlage für das Plakat mit der Aufforderung Trinkt mehr Milch! sein muss. Allerdings fehlen hier die anderen Tiere im Hintergrund. Kuh und Bürgermeister stehen ganz allein auf der Wiese.
Der Fahrstuhl hält an und nach einem hellen Klingelton öffnet sich die Tür. Ich stehe Jonathan gegenüber. Mein erster Gedanke ist es, ihm um den Hals zu fallen. Aber ich halte mich zurück. Zwar hat mir Jonathan versichert, dass seine Großeltern nichts gegen meinen Besuch haben, aber etwas Zurückhaltung erscheint mir angebracht.
„Danke, Jeremy“, verabschiedet Jonathan den IFIS-Mann. Der Fahrstuhl kehrt zurück ins Foyer. Jonathan umarmt mich und drückt mir einen Kuss auf die Lippen.
„Nicht“, ziere ich mich, obwohl mir der Sinn nach viel mehr davon steht. „Wenn uns dein Großvater erwischt.“
„Der ist gar nicht hier.“ Jonathan lässt mich dennoch los, nimmt meine Hand und sagt: „Du möchtest doch sicher die Wohnung sehen.“
Die Einrichtung ist überwältigend. Geschnitzte Möbel aus dunklem Holz, überall stehen hohe Vasen und Skulpturen, die zumeist Jagdszenen nachstellen. In einer erleuchteten Vitrine entdecke ich eine Miniaturlandschaft mit einem Wasserlauf, der sich durch einen Wald aus winzigen Bäumen windet.
„Ein Hobby meines Großvaters“, erklärt mir Jonathan. „Die Pflanzen sind echt, aber der Fluss ist natürlich nur ein Wasserkreislauf, der durch eine elektrische Pumpe angetrieben wird.“ Er deutet auf eine Baumreihe auf dem Kamm eines höchstens zwanzig Zentimeter hohen Hügels. „Wenn du genau hinsiehst, stellst du fest, dass sich diese Bäume alle nach rechts neigen. In der Vitrine weht nämlich permanent ein leichter Windzug von links. Alles soll so wirklichkeitsnah wie möglich sein.“
„Bewohnt ihr die ganze Etage?“, frage ich.
Jonathan lacht. „Nein, so viel Platz braucht selbst mein Großvater nicht. Es existieren noch Versammlungsräume und Büros für seine engsten Mitarbeiter.“
Eine Seite des Raumes ist vollständig verglast und gibt den Blick über die gesamte Stadt frei. Der Sato-Tower bildet ihren Mittelpunkt.
Weit unter mir sind nur wenige Menschen und noch weniger Fahrzeuge unterwegs. Die Luft ist so klar, dass ich deutlich die hohe Stadtmauer sehen kann. Auf ihr befinden sich in regelmäßigen Abständen die Energieprojektoren für den Schutzschirm. Von hier oben müsste ich eigentlich erkennen, was sich jenseits der Mauer befindet. Aber da ist nur ein diffuser Nebel, der sich erst in vielleicht hundert Metern Höhe lichtet.
„Enttäuscht?“, fragt Jonathan neben mir.
„Besteht die Welt etwa nur aus Nebel?“ Die Vorstellung ist deprimierend.
Jonathan schüttelt den Kopf. „Ich vermute, dass es sich eher um eine künstlich hervorgerufene Trübung des Energieschirms handelt. Damit niemand, der sich in einem höheren Gebäude aufhält, erkennen kann, wie es dort wirklich aussieht.“
„Vielleicht, weil der Anblick so furchtbar ist.“
„Ich werde es sehr bald erfahren“, erwidert er leise.
„Dann bist du also mit deinen Nachforschungen vorangekommen.“
Jonathan zeigt ein zufriedenes Grinsen. „Und ob!“
Plötzlich streckt er den Arm aus und deutet zum Horizont. „Dort! Kannst du es auch sehen?“
Es sind nur zwei, dann drei Punkte in der Ferne zu erkennen. Sie schweben vor dem Blau des Himmels, halten eine Weile Distanz und stürzen dann im Steilflug auf die Erde zu.
„Man kann so etwas nur von hier, vom höchsten Punkt der Stadt verfolgen“, sagt Jonathan.
„Was kann das gewesen sein?“ Ich spüre den Herzschlag in meiner Brust. Habe ich gerade einen Beweis für die Existenz von Leben außerhalb der Stadt gesehen?
„Keine Ahnung. Jedenfalls kommen sie nie nahe genug, um sie identifizieren zu können. Als würden sie sich vor uns fürchten.“
Ich suche den Himmel ab, aber es tauchen keine weiteren Objekte auf. „Ich glaube aber, dass heute etwas über die Stadt hinweg flog“, sage ich. „Leider war es zu schnell. Außerdem war die IFIS mit einem Riesenaufgebot im Olympic Regent . Ich hörte, wie darin geschossen wurde.“
Jonathan öffnet den Mund zu einer Frage.
Schritte nähern sich
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