Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)
Rucksack und renne einfach los. So schnell ich kann.
* * *
Stunden später hocke ich wieder in meiner armseligen Wohnecke. Meine Füße sind geschwollen. Die Muskeln brennen. Tyler schläft fest eingewickelt in seiner Festung. Callie ist nicht heimgekommen. Ich verdränge den Gedanken, dass sie vielleicht nie mehr zurückkehrt.
Ich starre den Block mit ihrem Porträt an. Die Blattränder sind durch die Wasserflecken beschädigter denn je, aber die Zeichnung selbst ist unversehrt geblieben.
Ich nehme meinen Kohlestift zur Hand, um an ihrem Haar weiterzuarbeiten. Mit schnellen Strichen skizziere ich die eine Hälfte ihres Gesichts so, wie sie oft aussieht, mit wild zerrauften Strähnen. Dann hole ich tief Luft. Die andere Seite zeichne ich langsam, bewusst, sorgfältig. Das sieht am Ende sehr gepflegt und ordentlich aus. Vorher und nachher? Vielleicht.
Mit einem braunen Stift fülle ich eine Iris aus. Ich beginne mit der anderen, doch dann unterbreche ich die Arbeit und radiere das Braun im zweiten Auge wieder weg. Meine Hand schwebt über den Farbstiften, entscheidet sich für Blau. Ich fülle die zweite Iris mit einer Farbe aus, die ich nicht sehe, wenn ich Callie anschaue. Warum tue ich das? Ich habe eine Ahnung, dass es zwei Callies gibt, die ich beide kenne – und zugleich nicht kenne.
Aber als ich fertig bin und die Zeichnung betrachte, scheint alles richtig zu sein. Das Resultat ist überraschend, eindringlich und ein wenig gespenstisch. Es ist Kunst. Die Kunst erlaubt so etwas. Es ist meine künstlerische Deutung, und sie kommt der Wahrheit näher als jedes fotorealistische Porträt. In unserem verzweifelten Kampf ums Überleben ist jeder und alles unberechenbar.
Selbst ich.
Ich höre Tylers rasselnde Atemzüge. Er hat keine Zweifel daran, dass sie zu uns zurückkommt.
Und ich? Ich hoffe es.
Ja, ich hoffe es.
Wie es nach »Porträt eines Starters«
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