PR 2629 – Die Weltengeißel
ihnen, weit mehr, als sie eigentlich benötigten. Die Tradition sah vor, dass man den Hingerichteten auch nach seinem Tod noch mindestens vier Dutzend Mal bewarf.
Die Hüter entstammten sämtlich Szimons Kollektiv – derselben Gemeinschaft, der auch die Ermordete angehört hatte. Ihnen stand das Recht zu, Hhanahorl zu rächen. Nur so konnte der Gerechtigkeit genüge getan werden.
Seltsam waren nur die Umstände der Tat: dass sich der Mörder so freimütig gestellt hatte und keinerlei Reue zeigte. Im Gegenteil, er erweckte den Eindruck, auf sein Verbrechen auch noch stolz zu sein.
Die Gedanken seines Kollektivs rauschten nur so an Szimon vorüber. wann stirbt er endlich – er hat es verdient – ich würde am liebsten – die arme hhanahorl, sie – selbst einen stein werfen – war so jung.
Und überall schwelte derselbe Hass, den auch Szimon fühlte. Allerdings mischte sich etwas anderes hinein, das er nicht verstand. Er wunderte sich, obwohl er es selbst empfand.
War das ... Angst?
Wovor? Er ertappte sich dabei, wie er sich umschaute, als lauere irgendeine Bedrohung in seiner Nähe. Doch es gab nur die Menge, die den Tod des Mörders erwartete.
Es sah nicht so aus, als würde Steressth versuchen, sich gegen sein bevorstehendes Ende zu wehren. Gelassen kauerte er auf allen acht Beinen inmitten des Hinrichtungsorts, während er in für Außenstehende unhörbare Zwiesprache mit den Angehörigen seines Kollektivs versunken blieb.
Seinen Kopf richtete er weder vor Scham auf den Boden noch voller Verzweiflung in den Himmel. Er musterte die Menge, die gekommen war, seinen Tod zu beobachten. Als einziges Zeichen von Nervosität bewegten sich die Chelizeren vor seinem Mund träge.
Eine erhöhte Tribüne von dreifacher Cruny-Länge bildete traditionell seit zahllosen Generationen den Ort, an dem überführte Schwerverbrecher sterben mussten. Die Ursprünge dieses alten Gesetzes verloren sich im Dunkel der Zeiten; es hieß, es stamme aus derselben Zeit wie die singenden Metallschwingen, die von dieser Epoche berichteten.
Ein einfacher Zaun aus abgestorbenem Wandelholz hinderte den Delinquenten eher symbolisch an der Flucht. Als eigentliche Absicherung dienten die Ordnungshüter mit ihren Steinen. Jeder Fluchtversuch würde die Qual der Steinigung verlängern. Nie war es einem Verurteilten gelungen zu fliehen, weder am Boden noch in der Luft.
Die Sonne strahlte heiß vom Himmel. Auf dem Hügel hinter der Tribüne heulten vier K'culy-Katzen das flammende Gestirn an, die Laute zogen schwermütig über die dicht gedrängte Menge hinweg. Fühler pendelten im sanften Wind, nackte Lederhaut glitzerte im Licht.
Szimon fühlte die Berührung fremder Arme und Beine am Rücken. Er störte sich nicht weiter daran. In den alten Zeiten hatten die Cruny in winzigen Erdlöchern eng neben- und sogar übereinander gehaust und geschlafen, wie es viele verstandeslose Insektentiere bis zur Gegenwart taten. Aber auch wenn das für die Cruny der Vergangenheit angehörte, liebten alle noch immer körperliche Nähe.
Die schroffen Berge im Hintergrund glänzten golden. Die Gipfel versanken in den dunkelgelb gesättigten Regenwolken des vor Hitze flimmernden Firmaments. Bald würde sich ein Gewitter entladen. Aus der Ferne hallten bereits Donnerschläge zwischen den kargen Felswänden.
Genau aus der Richtung, aus der etwas auf Szimon und die anderen einströmte. Das Kollektiv stellte es beinahe unbewusst fest, doch es schlug auf jeden durch: Furcht.
Die Menge wurde unruhig. Vereinzelt wandten sich junge Cruny um, wollten den Schauplatz der kommenden Hinrichtung verlassen.
Plötzlich richtete Steressth das Wort an die Zuhörer, nicht gedanklich, sondern mit schreiender Stimme: »Hört mich an!«
Eine Sekunde herrschte daraufhin Totenstille, jede Bewegung verharrte. Nur das klagende Heulen der K'culy-Katzen stieg nach wie vor der Sonne entgegen.
Im nächsten Augenblick schrie jemand vor Verblüffung und Empörung. Als sei dies der Auslöser, ging ein Raunen durch die Zuschauer. Ein zum Tode Verurteilter durfte in seinen letzten Minuten zwar noch im Gedankenstrom seines Kollektivs schwimmen, um Abschied zu nehmen, doch nie mehr ein Wort sprechen.
»Still!«, brüllte einer der Ordnungshüter.
Hhanahorls Mörder kümmerte sich nicht darum. »Ich habe Zwiesprache mit meinem Kollektiv gehalten. Jeder dort versteht mich und weiß, warum ich es getan habe! Nun müssen alle anderen es ebenfalls hören!« Steressths Stimme übertönte das
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