PR 2703 – Tod im All
entkommenen Torpedos hatten alle 77 Schiffe des Ghatamyz-Verbands erwischt. 77 Schiffe waren zerstört worden, darunter Kolosse wie die GIOVANNI CABOTO und die beiden LFT-BOXEN.
Im Linearraum!
Bislang hatte der Linearraum als sicherer Rückzugsort gegolten. Natürlich war durchaus bekannt, dass es Möglichkeiten der Beeinflussung gab. Aber ein gezieltes Beschießen von Schiffen, die etwa nach einer Raumschlacht in den Linearflug gingen, hatte es noch nicht gegeben. Wer es in den Linearraum schaffte, hatte es geschafft – so lautete bis vor wenigen Tagen die militärische Devise. Es sei denn, jemand folgte ihm bis zum Wiedereintritt ins Standarduniversum. Aber das war eine ganz andere Geschichte.
Sichu fröstelte noch immer, als sie an die wenigen Sekunden vor vier Tagen zurückdachte, binnen deren sich die Katastrophe ereignet hatte. Der Linearraum war nicht mehr sicher, zumindest nicht in der Umgebung von Terra.
Sie blickte auf die Hände hinab, und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sie unwillkürlich zu beinahe schmerzhaft festen Fäusten geballt hatte. Mühsam zwang sie ihre schlanken grünen Finger wieder auseinander. Die goldenen Fraktalmuster, die ihren ganzen Körper bedeckten und auf den Handrücken ausliefen, schimmerten im kalten Licht des unterirdischen Labors.
Der Raum gehörte zur Universität von Terrania und lag geschützt im 32. Stock unter der Erde. Seit fast vier Tagen hockte sie nun dort – von kurzen Pausen zum Schlafen und Essen unterbrochen – und wühlte sich durch die Unmenge von Daten und Aufzeichnungen, die man ihr als Chefwissenschaftlerin auf Anforderung zur Verfügung gestellt hatte.
Natürlich beschäftigte sich auch das Militär der LFT mit der Katastrophe. Aber selbst wenn die Uniformträger sich einen Stab von Wissenschaftlern zusammengetrommelt hatten, schadete es nicht, wenn Sichu sich ebenfalls mit diesen »Linearraumtorpedos«, wie sie sie kurzerhand getauft hatte, beschäftigte. Schließlich war sie nicht bloß irgendeine Hyperphysikerin, sondern eine der besten, die man auf Terra in diesen Tagen finden konnte.
Bedauerlicherweise hatte auch eine Koryphäe Schwierigkeiten, aus dem wenigen, brauchbaren Datenmaterial sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Sichu ließ den Blick über die Grafiken, Tabellen und Kamerabilder schweifen, die sie umgaben. Sie besaß Unmengen an Aufzeichnungen, Analysen der Onryonenraumer, Flugvektoren, Materialeinschätzungen, Flugsteuerungsberechnungen, Geschwindigkeitsmessungen und Sprengkraftextrapolationen der Linearraumtorpedos.
Nur das eine, was zählte, die Frage, wie es den Miniaturflugkörpern gelang, im Linearraum ein Ziel anzuvisieren und zu zerstören, ließ sich mit alldem nicht beantworten. Dazu fehlte ihr ein intakter Torpedo – oder wenigstens die Sensordaten eines der zerstörten Schiffe.
Nur woher nehmen?, dachte Sichu frustriert. Die Hilfsflotte war vollständig vernichtet worden. Obwohl nach wie vor Suchtrupps das gewaltige Trümmerfeld durchstreiften, war bislang so gut wie nichts Verwertbares geborgen worden. Der Grad der Zerstörung hatte etwas Beängstigendes.
Viel schlimmer war, dass von den Tausenden Leben, die an Bord der 77 Schiffe gewesen waren, bloß eines hatte gerettet werden können. Eines! Diese Zahl klang so absurd, dass man sie nicht glauben mochte. Aber tatsächlich hatte genau ein Mann die Katastrophe überlebt: Waffenleitoffizier Tasso Cormac von der HILDEGARD VON BINGEN.
Leider lag der Mann, der trudelnd und ohne Bewusstsein im freien Raum gefunden worden war, im künstlichen Koma, in das die Mediker ihn nach seiner Rettung hatten versetzen müssen. Von ihm bekam Sichu keine neuen Informationen.
Sicher war daher bislang nur dies klar: Dank ihrer Linearraumtorpedos stellten die Schiffe der Onryonen eine ganz neue Dimension von Bedrohung dar. Diese Waffe verlieh ihren Besitzern erschreckende Macht!
Das schienen diese auch zu wissen. Denn obwohl sich Genneryc und seine Flotte unter dem Vergeltungsfeuer der LFT-Wachflotte wieder hinter den Repulsor-Wall zurückgezogen hatten, ließen die Onryonen sowohl Furcht als auch Reue vermissen. Stattdessen hatte sich der Fremdling mit der Selbstherrlichkeit eines unangefochtenen Herrschers an die Bewohner nicht nur der Erde, sondern der ganzen Galaxis gewandt. Noch immer klangen Sichu seine ungeheuerlichen, seine absurden Worte in den Ohren.
»Ich will noch einmal betonen, dass ich zu euch spreche aus meiner von einem der Richter des Atopischen Tribunals verliehenen
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