Der letzte Aufstand
Der letzte Aufstand
Ein paranormaler Thriller
Nicolas David Carter
Warschau, 1876 Tage vor „ Tag X“
Er hatte es nur einmal ausprobieren wollen, ein einziges Mal, verdammt noch mal! Niemand konnte ihm daraus einen Vorwurf machen. Doch die Sache war mächtig in die Hosen gegangen. Nicht zu leugnen. Jaczek lag auf dem Boden und versuchte das Gesicht des Mannes zu sehen, dessen Schuhsohle ihn auf den feuchten Boden drückte. Keine Chance. Der Absatz des Halbschuhs bohrte sich ihm in die Nase und machte das Atmen zu einer schwierigen Angelegenheit. Jaczek hörte wie seine Atmung gepresst ging und ein schleifendes Geräusch machte.
Der Mann wiederholte die einzigen Worte, die er in den zwanzig Sekunden ihrer Bekanntschaft gebellt hatte: „Gib mir den Code!“
Jaczek war alles andere als sportlich, sonst hätte er sich jetzt mit einem Jiu Jitsu-Schlag befreit, so wie er dies in seinen virtuellen Spielen jeweils durch eine besondere Tastenkombination zu tun pflegte.
Der Mann erhöhte den Druck und drückte Jaczeks Gesicht noch brutaler auf den Boden der öffentlichen Toilette. Dann spuckte er ihn an.
☸
Drei Jahre später
Paris, 1 Tag vor „Tag X“
Eine schmerzende Wärme breitete sich zwischen ihnen aus. Nur der Verkehr brauste irgendwo da draussen, einer Klangkulisse gleich, an ihrem Paradies vorbei. Wortlos blickte er sie an. Ihr dunkelrotes Haar fiel im Licht der Kerze, die auf dem Nachttisch stand, mit einem goldenen Schimmer auf ihre Schultern. Worte hätten dem Augenblick nicht Genüge getan. Als er sie an der Hand nahm und sie näher zu sich heran ziehen wollte, begann er zu zittern. Sein ganzer Leib bebte. Die Macht Amors hielt ihn in Bann und begann ihn immer mehr in Besitz zu nehmen.
Das Gefühl hatte sich über die letzten Tage aufgebaut. Wie aus dem Nichts war es aufgetaucht und hatte seine Wirkung zu entfalten begonnen. Niemand hätte es erwartet. Guillaume nicht, und Yeva auf gar keinen Fall. Es war genau so absurd, wie es jetzt unvermeidbar und unausweichlich erschien. Dieser Macht konnte man nicht widerstehen, und man wollte es auch gar nicht.
Yeva liess sich bereitwillig zu ihm heranziehen. Und je näher sie kam, desto unerträglicher wurde sein Schmerz. War es Liebe? Oder war es einfach eine chemische Wirkung, die ihre Körper aufeinander ausübten? Gott allein kannte die Antwort auf diese Frage. Ganz sicher war es etwas, das sie beide noch nie erlebt hatten. Ein Begehren jenseits von Sprache. Guillaume streichelte ihren Hinterkopf, dort wo der Nacken in die Wölbung des Schädels überging. So zärtlich wie seine zitternden Hände es erlaubten, strich er durch ihre seidenen Haare. Und das unkontrollierbare Beben in seinem Körper nahm zu, wurde immer mehr zu einem unwillkürlichen Zucken. Dann küsste sie seinen Hals. Der Rest war Perfektion. Zwei Körper in symphonischer Harmonie vereinigt. Seelenverwandtschaft, unverständlich und unerklärlich, aber eindeutig. Wie sonst liess sich die Vollkommenheit des Augenblicks erklären?
Oder war es vielleicht eine Reaktion auf die Angst, die ihnen beiden tief in den Knochen sass? Die Angst vor dem ersten Auftrag, der über das Leben und den Tod hunderter von Menschen bestimmen würde? Diese Angst hätte eine sexuelle Entladung gerechtfertigt, ein gemeinsames Loslassen während Zeiten intensiven Stresses verständlich gemacht. Aber sie hätte nicht diesen Einklang erklärt. Nicht dieses tiefe Gefühl der Einheit, das die ganze Nacht bestimmte.
Das hier war keine Entladung einer Spannung, die mit Angst zu tun hatte. Was hier geschah liess sich nicht einordnen und schlussendlich musste es nicht erklärt oder interpretiert werden, obwohl der Intellekt nach einer Erklärung für diese Nacht verlangte. Es schien zum Menschsein dazuzugehören, dass man die Dinge immer in einem Ursache-Wirkung Verhältnis zu verstehen versuchte. Als sei etwas erst dann wirklich befriedigend verstanden, wenn man es in ein Konzept gezwängt hatte.
Guillaume begriff vielleicht zum ersten Mal, wie sehr die alltägliche Erfahrung des Lebens vom eigenen Denken zensiert wurde. Zensiert, gefiltert und den eigenen Vorstellungen angepasst.
Die Nacht war ein Kunstwerk. Und irgendwann waren sie dann eingeschlafen. Erschöpft, erstaunt und in unschuldigem Frieden.
Frieden. Unschuld. Welch Worte ...
Die Gegenwart kannte alles ausser den Frieden. Die Welt war verrückt
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