PR TB 178 Der Sonnentoter
Hauptverkehrsstraße ab und geriet in ein
ärmliches Viertel, das weniger sauber als die anderen Teile der
Stadt war. Unrat und Abfälle lagen an den Straßenrändern.
Schmutzige Kinder spielten zwischen verfallenen und verlassenen
Häusern.
Sopal stellte den Soyta ab und ging zu Fuß weiter. Nach etwa
dreihundert Metern erreichte er ein verschachteltes Gebäude,
dessen unterer Teil aus riesigen Quadern bestand, während die
oberen Geschosse aus Kugelelementen zusammengesetzt waren. Er betrat
das Haus.
Aus dem Schatten einer Türwölbung trat ihm ein
bewaffneter Mann entgegen. Er hielt ein Messer in der Hand, ließ
esjedoch sinken, als er den Sonnentöter erkannte.
„Du bist es, Sopal", sagte er überrascht. „Ich
habe gehört, daß man dich gefangen und angeklagt hat."
„Gerüchte", entgegnete der Sonnentöter
abwertend. „Man sollte nicht soviel darauf geben.
Wo ist Arta-Ota?"
„Oben", antwortete der Wächter.
Der Sonnentöter dankte und eilte eine Steintreppe hinauf. In
den oberen Geschossen war es heller als unten. Das Licht schimmerte
durch die transparenten Kugelwände, die grün eingefärbt
waren. In einem weit A räumigen Salon saß
Arta-Ota plaudernd mit einigen jungen Frauen zusammen. Er schickte
sie sofort weg, als er Sopal bemerkte.
„Du bist ihnen also entkommen", sagte er freudig
erregt. „Ich wußte es. Einen Mann wie dich kann man nicht
einsperren und halten."
Sopal setzte sich und nahm eine Karaffe mit einem alkoholischen
Getränk entgegen, die Arta-Ota ihm reichte. Er trank hastig.
„Ich bin ihnen entkommen", erwiderte er, nachdem er das
Gefäß abgesetzt hatte. „Leider verlief alles ein
wenig anders als erwartet."
„Berichte", forderte sein Gegenüber.
Sopal blickte ihn durch den Schleier der Federn, die seine Augen
verhüllten, forschend an. Arta-Ota war ein ungemein wichtiger
Mann auf Sanka. Er war reich und hatte großen Einfluß
sowohl im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich. Ihm gehörten
nicht nur mehrere Fabriken, sondern auch Zehntausende von Sankanern,
denen er eine regelmäßige Vergütung dafür
bezahlte, daß sie sich ihm verkauft hatten. Der Vorteil für
ihn lag darin, daß er ihre Stimmen von vornherein besaß,
wenn es um eine politische Wahl ging. So war er praktisch
unabsetzbar in seiner politischen Funktion geworden. Arta-Ota
hattejedoch schon eine Ebene der Staatspolitik erreicht, in der er
weitaus mehr Stimmen benötigte. In den letzten Jahren hatte er
sie immer mühelos bekommen, obwohl es ein offenes Geheimnis war,
daß manche seiner Geschäfte die Grenze der Legalität
überschritten.
Dennoch mußte man Arta-Ota als ehrenwerten Mann ansehen, der
auf den traditionellen Gebieten sankanischen Verhaltens keine
Nachsicht kannte.
„Ich habe versagt", gestand der Sonnentöter voller
Unbehagen. Er beobachtete, daß Arta-Ota überrascht die
Kopf federn sträubte, und er fragte sich, ob er in der Lage war,
auch diesen Mann zu töten, falls der rituelle Wunsch an ihn
herangetragen wurde. „Ich bin verhaftet, angeklagt und
verurteilt worden. Man hat mich identifiziert. Ich wurde dem Henker
übergeben und sollte ihm meine Brust für den tödlichen
Messerstich bieten."
„Was ist geschehen?" fragte Arta-Ota, als der Son-
nentöter eine Pause machte. „Wieso hast du versagt? Ich
verstehe das nicht."
„Ich verstehe es selbst nicht", antwortete Sopal. „Ich
habe dem Ledernen nicht meine Brust geboten. Ich habe ihm das Messer
entrissen. Ich habe ihn getötet und bin geflohen."
Arta-Ota sprang auf. Er ging zu einem künstlichen
Springbrunnen im Hintergrund des Salons. „Das glaube ich
nicht", sagte er mit bebender Stimme. „Wenn ein anderer
mir so etwas erzählt hätte, würde ich es akzeptieren.
Aber MAGA soll das getan haben? Nein, das ist unmöglich."
„Und doch ist es wahr", sagte Sopal. „Als er
zustoßen wollte, habe ich die Nerven verloren."
„Unvorstellbar", erwiderte der Politiker. „Das ist
nicht zu erklären. Wieso tut ein Mann wie du so etwas?"
„Ich weiß es nicht."
„DeinVerhalten wird Entsetzen auslösen, sobald es
bekannt wird", sagte Arta-Ota. Er wurde nachdenklich. „Ich
könnte immerhin versuchen, die Nachricht als Verleumdung
abzutun. Ich könnte behaupten, daß die Justiz alles nur
inszeniert hat, um den Geheimbund der Sonnentöter als
unehrenhafte Gesellschaft zu diffamieren und damit ihr Ansehen in der
Öffentlichkeit zu schmälern. Aber das wäre keine
Lösung. Du weißt, was du zu tun hast."
Sopal senkte zustimmend
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