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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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pfeifende Gras in den aufgeweichten Lehmboden. Dann schien er einzuhalten und sich wie auf einen Stab darauf zu lehnen. »Vorwärts,« ermunterte der Priester freundlich, »wir suchen ja nur nach der Wahrheit, was fürchten Sie?«
    »Ich fürchte mich, sie zu finden,« versetzte Flambeau.
    Der Londoner Beamte sprach plötzlich mit hoher, krähender Stimme, die zwanglos und unbefangen klingen sollte. »Ich möchte wissen, weshalb er sich tatsächlich so verborgen hielt. Ich vermute etwas Widerwärtiges. War er ein Aussätziger?«
    »Etwas Schlimmeres noch,« erwiderte Flambeau.
    »Und was denken Sie sich,« fragte der andere, »wäre schlimmer als ein Aussätziger?«
    »Ich stelle mir das gar nicht vor,« gab Flambeau zurück. Schweigend grub er einige bange Minuten weiter und sagte dann mit unterdrückter Stimme: »Ich fürchte, es ist da etwas nicht ganz richtig.«
    »So war es auch mit der Form jenes Papierstückes, wie Sie wissen,« sagte Father Brown ruhig, »und wir kamen sogar über das Papierstück hinweg.«
    Flambeau grub mit blindem Eifer weiter. Inzwischen hatte der Sturm die drückenden grauen Wolkenmassen, die wie Rauch an den Hügeln hingen, hinweggefegt und einzelne mattgraue Sternenfelder enthüllt, bis Flambeau die Gestalt eines einfachen Holzsarges freilegte und diesen ein wenig aus der Erde emporhob.
    Craven trat mit seiner Hacke näher, als ihn eine Distel streifte, vor der er aufschreckte. Dann noch ein fester Schritt und er hieb und riß so kräftig wie zuvor Flambeau, bis der Deckel nachgab, und alles, was darunter war, im grauen Sternenschimmer vor ihnen lag.
    »Knochen,« sagte Craven, und dann fügte er hinzu, »aber es ist ein Mann,« als sei dies etwas Unerwartetes. »Ist er,« fragte Flambeau mit sonderbar schwankender Stimme, »ist er in Ordnung?«
    »Es scheint,« erwiderte der Beamte rauh und beugte sich über das fahle und vermodernde Skelett im Sarge. »Warten Sie einen Augenblick.«
    Ein tiefes Stöhnen überlief Flambeaus riesige Gestalt.
    »Und nun, wenn ich darüber nachdenke,« rief er, »warum in aller Welt sollte er denn nicht sein wie er sollte? Was ist es, das einen Menschen überkommt auf diesen verwünschten, kalten Bergen? Ich glaube, es ist das düstere stumpfsinnige Einerlei: all diese Waldungen und dazu über allem das ewige Schrecknis der Unbewußtheit. Es ist wie der Traum eines Atheisten. Tannenbäume und noch mehr Tannenbäume und noch Millionen von Tannenbäumen –«
    »Himmel!« rief der Mann bei dem Sarge, »er hat ja keinen Kopf!«
    Wahrend die anderen starr dastanden, zeigte der Priester zum erstenmal einen Anfall von Fassungslosigkeit. »Keinen Kopf!« wiederholte er. »Keinen Kopf?« als hätte er erwartet, daß irgend etwas anderes fehle.
    Törichte Visionen von einem den Glengyles geborenen kopflosen Kinde, von einem im Schlosse sich verbergenden kopflosen Jünglinge, von einem kopflosen Manne, der diese altertümlichen Hallen oder diesen prächtigen Garten durchmaß, zogen an ihrem Geiste vorüber. Doch selbst in diesem Augenblicke des Erstarrens schlug die Sage keine Wurzel in ihnen und schien jeder Vernunft zu ermangeln. Sie standen und lauschten wie verzaubert den rauschenden Wäldern und heulenden Winden, gerade wie erschöpfte Tiere. Das Denken schien etwas ganz Außerordentliches, das sich plötzlich jeder Macht entzogen habe.
    »Es gibt drei kopflose Menschen,« sagte Father Brown, »und die stehen um dieses offene Grab herum.«
    Der bleiche Londoner Detektiv öffnete den Mund zum Sprechen und hielt ihn wie ein dummer Junge offen, während ein langgezogenes Windesheulen durch die Wolken fuhr; dann besah er sich die Axt in seiner Hand, wie wenn sie nicht zu ihm gehöre und ließ sie fallen.
    »Father,« sagte Flambeau mit jener kindlichen, schweren Stimme, die er so selten anwandte, »was sollen wir tun?«
    Die Antwort seines Freundes kam mit der raschen Bestimmtheit eines Gewehrschusses.
    »Schlafen!« rief Father Brown. »Schlafen, wir sind am Ziele angelangt, wissen Sie, was Schlaf ist? Wissen Sie, daß derjenige, der schläft, an Gott glaubt? Es ist ein Sakrament, denn es ist ein Glaubensakt und eine Nahrung zugleich. Und wir benötigen ein solches und wäre es auch nur ein natürliches. Etwas hat uns befallen, was den Menschen sehr selten befällt, vielleicht das Schlimmste, was einen befallen kann.«
    Cravens offener Mund schloß sich in der Frage: »Was meinen Sie?«
    Der Priester hatte sein Gesicht dem Schlosse zugewandt, als er

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