Prime Time
zufielen. Nun waren die Klimaanlage und der Papierstaub hinter ihr eingesperrt. Die Erleichterung rauschte ihr wie ein Wasserfall durch die Glieder.
Acht Tage Dienstausgleich.
Sie atmete aus, blinzelte in die Sonne und spürte die Wärme. Der Wind war abgeflaut, das Tiefdruckgebiet vom Atlantik war weggefegt und hatte die Tür für die Warmluft aus Russland geöffnet. Sie zog ihren Pullover aus und ließ die Sommersonne Haut und Haar streicheln. Dann warf sie sich die Tasche über die Schulter und ging langsam zum Rålambshovpark hinunter. Sie sog den Geruch des heißen Asphalts ein, zum ersten Mal in diesem Jahr, sie musste lachen. Die Natur antwortete ihr mit einer Explosion aus Düften, Farben und Insekten.
Die Zeitung und Michelle Carlsson verschwanden hinter ihr im Dunst. Die Redaktion hatte sich in einem Vakuum befunden, Torstensson verschanzte sich immer noch in seinem Zimmer, Schyman war merklich zerstreut gewesen.
Es kursierten Gerüchte über eine außerplanmäßig einberufene Vorstandssitzung.
Sie hatte nicht über die Gedenkfeier schreiben dürfen, weil sie in der Live-Sendung zu sehen gewesen war. Stattdessen hatte Sjölander sie interviewt – es war seltsam, aber wichtig gewesen.
»Warum haben Sie Karin Bellhorn ins Kreuzverhör genommen?«, lautete eine der Fragen.
»Weil ich die Antwort kannte«, hatte Annika gesagt. »Ich wollte, dass alle anderen sie auch erfuhren.«
Das war der eine Grund, und Anne Snapphane war der andere gewesen.
»Danke«, hatte Anne ihr im Flur hinter dem Konferenzsaal zugeflüstert. »Du hast mich davor bewahrt, auf alle Zeiten im Bewusstsein der Leute als Mörderin dazustehen. Es spielt doch gar keine Rolle, wer es gewesen ist, letzten Endes hätten sich alle nur an eins erinnert: Hm, Anne Snapphane, war das nicht die, die im Fernsehen eine Mörderin genannt worden ist?«
Der Riddarfjärden glitzerte wie ein in tausend Teile zersprungener Spiegel, das Wasser lebte und schaukelte, und sie wühlte in ihrer Tasche nach der Sonnenbrille, konnte sie aber nicht finden. Sie ging am Ufer entlang, wunderbar schwindlig, und kniff die Augen zusammen, so dass sie fast über einen Pudel stolperte. Q war ein wenig sauer gewesen, aber nicht so sehr, wie sie befürchtet hatte. Ein öffentliches Geständnis war nie verkehrt, auch wenn es juristisch nicht bindend war.
In den ersten Verhören hatte Karin Bellhorn rasch angefangen, von einem fahrlässig abgegebenen Schuss zu reden, was jedoch alles nicht zusammenpasste.
»Damit kommt sie nicht durch«, hatte Q auf seinem quäkigen Handy aus dem Polizeipräsidium gesagt. »Aber auf irgendeine Weise kriegen wir sie dran.«
Annika ging den Kungsholmstorg hinauf und kam am Polizeipräsidium vorbei. An der Spitze des Gebäudekomplexes stand das Kronobergsgefängnis. Sie sah schnell hinauf und fragte sich, wo Karin Bellhorn dort drinnen wohl saß. Der Gedanke ließ ihre Knie weich werden.
Aus ihrer Brust stieg etwas Dunkles auf, sie schluckte fest und drängte es zurück. Ging schneller, ließ die Absätze auf der Straße klappern und den Wind im Haar spielen. Die Kinder waren im Garten der Tagesstätte. Ellen saß in Pullover, Windel und Sonnenhut im Sandkasten. Kalle rutschte, er war barfuß und ordentlich aufgekratzt. Sie sah sie gleichzeitig, in einem Augenblick, nur sie, ganz klar umrissen in ihren Konturen. Sie lief auf sie zu und gab sich ihrer unvorstellbaren Freude darüber hin, sie zu sehen. Dann hielt sie beide gleichzeitig im Arm, wiegte sie, küsste die sandigen Hände und die verrotzten Wangen, alles war so rein und selbstverständlich.
Sie informierte die Erzieherinnen, dass die Kinder für den Rest der Woche und wahrscheinlich auch die ganze nächste Woche zu Hause sein würden, und ging dann langsam auf der Sonnenseite der Scheelegatan zum Supermarkt. Ellen war still und müde, sie kauerte sich mit dem Daumen im Mund im Wagen zusammen. Kalle plapperte immer weiter, bald würde er die Schwelle zur Müdigkeit überschritten haben und quengelig werden. Sie ging, ohne den Boden richtig zu berühren, die Nähe der Kinder und die Sommerwärme ließen sie schweben. In der Kühle des Supermarktes kaufte sie Hähnchenfilets und Kokosmilch, Eis am Stiel und Bier. Dann fuhren sie ein Wettrennen nach Hause in die Hantverkargatan, Kalle stand vor Glück jubelnd auf dem Kiddyboard des Kinderwagens. Und sie schaffte es sogar, das Gefühl der Seligkeit aufrechtzuerhalten, bis Kalle Fischsoße auf den Boden ausschüttete und Ellen sich
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