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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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HINTERHER VERSUCHTE JENN LACIE IMMER WIEDER, DEN EXAKTEN MOMENT ZU BESTIMMEN.
    Es hatte ein Davor gegeben, da war sie sich sicher. Ein Davor, als sie jung und frei gewesen war, manchmal sogar fröhlich, wenn sie einen besonders guten Tag hatte. Im Rückblick ähnelte dieses Davor einem Prospekt für ein Hotelresort in den Tropen – ein Mädchen im Sommerkleid mit einem Strohhut auf dem Kopf, das knietief im azurblauen Wasser steht und in die Kamera lächelt. Früher hatte sie ihren Kunden solche Reisen angedreht, ohne jemals selbst die Koffer zu packen.
    Und dann war da natürlich das Danach.
    War es da nicht logisch, dass es einen Moment gegeben hatte, in dem sich das eine in das andere verwandelt hatte? In dem sich der blaue Himmel verdunkelt hatte, in dem das Wasser abgekühlt war? In dem sie sich hatte mitreißen lassen von der Strömung?
    Vielleicht dieser eine Abend in der Bar, ihre erste Begegnung mit Johnny Love.
    Ja, vielleicht. Aber noch öfter dachte sie an den Moment, als es um vier Uhr morgens an ihre Tür geklopft hatte. Als sie schlaftrunken, in weißem Shirt und ausgewaschenen Baumwollshorts, durch den Türspion gespäht hatte. Dabei hatte sie eigentlich schon gewusst, dass sie dort Alex würde stehen sehen. Doch durch die winzige Linse hatte sie seine Augen nicht erkennen können, das aufgeladene, irre Blitzen seiner Augen. Hätte sie damals nicht die Tür geöffnet, wäre heute alles anders. Dachte sie zumindest.
    Doch manchmal ging sie härter mit sich selbst ins Gericht. Nein, sagte sie sich dann, der entscheidende Moment war erst später gekommen – erst als sie und ihre Freunde Dinge getan hatten, die sie nicht mehr rückgängig machen konnten. Nicht als die ursprüngliche Entscheidung gefallen war. Nicht einmal, als sie das Gewicht des Revolvers in der Hand gespürt hatte, eine ölige Schwere, die ein seltsames, aber durchaus angenehmes Zwicken in ihrem Unterleib ausgelöst hatte. Nein, die Geburt ihres neuen Lebens war abgelaufen wie jede andere Geburt auch: blutig und schmerzhaft. Nur dass kein Baby geschrien hatte, um den exakten Moment zu markieren. Stattdessen hatte es geknallt, so laut geknallt, dass es noch lange in ihren Ohren geklingelt hatte. Ein nasses, gurgelndes Husten, und der bibbernde Mann, der sie angestarrt hatte, während das Leben langsam aus seinen Augen gewichen war.
    Doch tief in der Nacht in ihren feuchten, zerwühlten Laken, wenn die Achterbahnfahrt ihrer Gedanken gar kein Ende nehmen wollte, fragte sie sich, ob das nicht alles Schwachsinn war. Vielleicht hatte es ihn gar nicht gegeben, diesen einen Moment. Vielleicht redete sie sich das alles nur ein, um durch den Tag zu kommen. So wie andere Xanax schluckten oder Scotch tranken und wieder andere ihr Hirn mit Sitcoms abtöteten.
    Vielleicht war es eine Notlüge – dass da etwas von außen auf sie eingedrungen war. Dass es diesen einen, ausschlaggebenden Moment gegeben hatte, in dem sie sich für rechts oder links hätten entscheiden können.
    Vielleicht waren sie und ihre drei Freunde von Anfang an eine schnurgerade Straße hinuntergegangen. Eine Straße ohne Abzweigungen.

1
    IAN WAR EIN WANDELNDES KLISCHEE. Doch er war sich dessen bewusst, und deshalb war es in Ordnung. Natürlich war er ein Börsenfuzzi. Natürlich trug er einen Anzug, den er sich bei seinen Schulden keinesfalls leisten konnte. Natürlich hing er kurz vor acht Uhr abends auf dem Männerklo seines Arbeitgebers über der Schüssel und stopfte sich das Koks kiloweise in die Nase. Natürlich hielt er sich für Gordon Gekko. Aber er wusste, was für eine miese Schmierenkomödie er da aufführte, und solange er das wusste, war er Herr der Lage.
    Scheiß drauf , sagte er sich, beugte sich vor und zog sich die nächste Ladung rein.
    Guter Stoff. Das Zeug überzog die Innenseite seines Schädels mit einer Art dünnem Eis. Für eine Sekunde wurde sein Gehirn schockgefroren, bevor die Kälte ganz sanft in eine herrliche Wärme überging. Ian schüttelte ein weiteres Häufchen auf den Klodeckel. Schließlich lebte man in einer Demokratie, da durfte das andere Nasenloch nicht zu kurz kommen.
    Schon besser. Er lehnte sich an den Spülkasten. Durch die gestärkte Wolle seines Hemds spürte er kühles, hartes Porzellan. Irgendwie angenehm.
    Gleich war es so weit. Gleich.
    Am liebsten hätte er mit dem Fuß gewippt, doch er riss sich zusammen und blickte stattdessen auf die Uhr. 19.58 Uhr, auf die Minute. Ja, gleich war es so weit. Ian arbeitete schon seit Jahren

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